Алиса в стране чудес, Сальватор Дали.
Grabrede 27.10.2009
Liebe Freunde,
danke Ihnen, dass sie gekommen sind, um von unserer lieber Frau und Mutter Nina Mikhaylova Abschied zu nehmen.
Sie wurde am 5. Februar 1937 in St. Petersburg, damals Leningrad, geboren und durch ihre Oma in den schlichten und klaren Regeln des 19. Jahrhunderts erzogen. Insbesondere wurden ihr Pflichtgefühl, Menschenfreundlichkeit, Arbeitsfleiß und äußerste Reinlichkeit und Anständigkeit ab ihren ersten Jahren eingeprägt.
Mit vier Jahren erfuhr sie, was "Krieg" bedeutet. Ihr ältester Bruder, der für das kleine Mädchen wie eine Gottheit gewesen war, ist schon 1941 gefallen. Die Blockade brachte Hunger, Kälte und Dunkelheit mit. Es war wieder ihre Oma, die das Überleben der jüngeren Kinder, ja der ganzen Familie ermöglichte. Der Krieg hinterließ aber ewige Narben. Insbesondere konnte Nina später keine hungrigen Menschen sehen. Immer wenn jemand zu Besuch kam, wurde sofort etwas gekocht, und der Besucher kam nicht weg, ehe er gegessen hatte.
1944 ging Nina zur Schule. Damals wurden getrennte Mädchen- und Knabenschulen in der UdSSR eingeführt. Mit vielen Klassenkameradinnen blieb Nina bis zum Lebensende befreundet. Vor einigen Jahren, im 2004, haben sie das 50-jährige Jubiläum des Abiturs gefeiert.
In ihren jungen Jahren trieb Nina viel Sport, besonders im Rudern erreichte sie die höchste Kategorie, so dass sie in ihrem Achter mehrmals an Meisterschaften der UdSSR teilnahm. So kam es dazu, dass sie zwischen dem großen Sport und der Wissenschaft wählen musste. Sie hat die wissenschaftliche Laufbahn gewählt.
Bereits als Schülerin interessierte Nina sich für Chemie, sie besuchte den chemischen Zirkel am Pionierpalast in Leningrad, nahm an den sogenannten Olympiaden teil, die die Universität für die Schüler veranstaltete, und erhielt dabei einige Ehrenurkunden.
Sie begann also die Chemie nach dem Abitur zu studieren - nicht an der Universität, sondern an der dreijährigen Fachschule, um möglichst schnell arbeiten und Geld verdienen zu können. Dazu wurde sie durch ihre Familienverhältnisse gezwungen. Nina beendete die Fachschule als die beste in ihrem Jahrgang und erhielt das Diplom mit Auszeichnung.
Mit 20 Jahren begann sie ihre berufliche Laufbahn. Sie arbeitete zuerst am Physikalisch-Technischen Institut der Akademie der Wissenschaften, ab 1961 - am Forschungsinstitut der Nickelindustrie, gekürzt "Gipronickel". Ins Gipronickel kam sie teilweise meinetwegen. Seitdem, 49 Jahre also, blieben wir zusammen.
Gleichzeitig studierte Nina an der Abendabteilung der Chemischen Fakultät der Universität und beendete dieses Studium im Jahre 1963 mit dem Universitätsdiplom. Mehr noch, sie führte später ihre Doktorarbeit durch und promovierte Anfang 1968.
Sie entwickelte sich zu einer sehr guten Chemikerin. Sie hatte ausgeprägte Fähigkeit zur Experimentalforschung, nicht nur dank ihrer geschickten Hände, sondern allererst dank ihres erstaunlichen Gespürs, Experiment so einzurichten, dass neue Erscheinungen heraustraten. Sie fand viel interessantes, was in zahlreichen Publikationen und Erfindungsrechten widerspiegelt wurde. Einige von diesen Ergebnissen durften wir dem IV. Internationalen Kongress für die Katalyse in Moskau im Juni 1968 vortragen.
Die letzten 16 Jahre ihres Berufslebens arbeitete Nina erfolgreich am Forschungsinstitut für die Marine. Ihr Fachbereich waren chemische Stromquellen, und hier hat sie mehrere Erfindungen gemacht. Eine von diesen wurde später als deutsches Patent anerkannt.
Aber während dieser Jahre fielen Nina die schwierigsten Prüfungen zu.
Als wir unsere Tochter verloren haben, fand sie Mut und Kraft mit 43 Jahren ein Kind zu gebären. Und Gott gab ihr Zeit, es großzuziehen und Gott gab ihr Glück, den Sohn als erwachsenen selbständigen Mann zu sehen.
Das zweite schwere Ereignis aus ihrer Zeit am Forschungsinstitut für die Marine war das folgende: Ein hohes Tier hat ein System der Stromproduktion für Submarinen vorgeschlagen, das für Gesundheit der Mannschaft, wegen giftiger Abfälle, schädlich wäre. Dabei argumentierte man ganz zynisch, dass die ja keine Gewerkschaftsmitglieder seien. Nina, die für diesen Bereich zuständig war, lehnte entschieden ab, solch ein System zu genehmigen. Dann fing der Druck von oben an. Es dauerte einige Monate, in denen sie abends erschöpft und nervös nach Hause kam. Ihr Vorgesetzter wagte sich nicht, der Obrigkeit entgegenzutreten, und Nina blieb die einsame Kämpferin. Sie hatte nichts unterschrieben, doch das kam teuer. Der Stress führte dazu, dass sie gleichzeitig einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall erlitt.
Man konnte sie nur dank ihrer festen Einstellung zur Genesung retten, sie konnte einfach nicht den zehnjährigen Sohn als Weise zurücklassen. Mit unglaublicher Beharrlichkeit, mit zähem Wille übte sie ständig, ab dem ersten Tag als sie fast bewusstlos lag, und lernte aufs Neue zu sprechen, zu zählen, zu schreiben, zu stricken, später, schon zu Hause, Klavier zu spielen. So konnte sie ihre mentalen Fähigkeiten und manuellen Fertigkeiten wieder zurückgewinnen. Ihr Herz blieb aber seitdem krank, und daraufhin wurde sie wegen der Behinderung in die Pension geschickt.
Ihrer Familie wegen ist Nina nach Deutschland gegangen, insbesondere um eine Ausbildung für ihren Sohn zu sichern, denn es war eine dunkle Zeit in Russland.
Hier, in Deutschland bemühte sie sich, sich der neuen, für sie, westlichen Kultur anzuschließen. Mit lebhaftem Interesse fand sie viel Neues, aber auch viel Gemeinsames mit dem, was in Russland üblich war. So versuchte sie die beiden Kulturen zu verbinden, zuallererst für sich selbst. Als Ergebnis entstanden ihre kleinen Deutsch-Russischen Lexika über Musik und über Religion und mehrere Lehrmittel für den russischsprechenden Leser - über die Schulbildung in Deutschland, über die Verfassung von Schulaufsätzen im Fach Deutsch, über die Jugendsprache Deutschlands und schließlich ein sehr inhaltsreiches Werk über die Verfassung von wissenschaftlichen Texten. Alle diese Arbeiten wurden auf der unseren Familien-Webseite publiziert und dann durch mehrere elektronische Bibliotheken Russlands übernommen. Mehr als zehn Jahre sammelte Nina Materialien über die Naturwissenschaftler und Ingenieure, die aus Russland nach Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert emigrierten und hier tätig waren. Leider blieb diese große Arbeit unvollendet - wegen ihrer tückischen Krankheit.
Nina kämpfte gegen ihre Leiden mutig und würdig, uns ein Muster gebend, wie man sich überwinden sollte. Nur die letzten zwei Tage konnte sie nichts mehr tun.
Ruhe wohl, Liebe!
Sei die Erde Flaum für Dich!