Wundt, Wilhelm Wolfgang Otto, Mikrobiologe und Hygieniker
*29.09.1919 Marburg. Ev. +3.06.1999 Mannheim
V Max Wilhelm August W. (1879-1963), Professor für Philosophie
M Senta, geb. Sartorius von Waltershausen (1885-1961), Malerin
G 3: August Siegfried Wilhelm (*1914), Hermann Karl Heinrich Ludwig (*1915),
Reinhard Maximilian (*1922).
∞ 20.01.1945 (Tübingen) Erika Ruth Näser (1921-nach 2001), Dr. med., Ärztin
K 2: Stefan, Prof. (Philologie); Hans-Peter, Dr. med.
1926 – 1938 Schulbildung: 1926-1929 Volksschule in Jena, 1930 IV – 1938 III das humanistische Uhland-Gymnasium in Tübingen
1938 IV – X Arbeitsdienst
1938 XI -1945 IV Militärdienst mit Beurlaubung für Medizinstudium
1940 – 1946 Studium der Medizin an den Universitäten Tübingen (I. Trimester 1940, SS1941-WS 1942/43, WS 1944/45 u. WS 1945/46) u. Wien (SS1943-SS1944)
1946 VII 8 Ärztliches Staatsexamen, Bestallung als Arzt
1946 IX 9 Promotion zum Dr. med.; Diss.: „Über die intracutane Ferricyankalireaktion bei Icterus nach Brugsch“
1946 X – 1948 VI Volontärarzt an d. Medizinischen Universitätsklinik Tübingen (vom Oktober 1946 bis September 1947 Pflichtassistentenzeit)
1948 VII – 1960 III Assistent, ab 15. Dez.1950 planmäßiger wissenschaftlicher Assistent am Hygiene-Institut d. Universität Tübingen
1957 VII Habilitation für das Fach „Hygiene u. Medizinische Mikrobiologie“ mit d. Schrift „Experimentelle Untersuchungen zur bakteriologischen u. serologischen Diagnostik d. Brucellosen“ u. mit dem Probevortrag „Die Bedeutung d. Typendiagnose mit Bakteriophagen für epidemiologische Untersuchungen“
1960 IV – 1966 III Oberassistent
1966 IV – 1987 IX o. Professor u. Direktor des Instituts für Hygiene u. Mikrobiologie d. 1964 als Sektion D d. Medizinischen Fakultät gegründeten, ab 1970 verselbständigten Fakultät für Klinische Medizin Mannheim d. Heidelberger Universität beim Klinikum Mannheim
1966 – 1974 Vorsitzender des Subkomitees für die Taxonomie d. Brucellen d. Int. Ges. für Mikrobiologie (International Society for Microbiology)
1973 – 1975 Präsident d. Deutschen Ges. für Hygiene u. Mikrobiologie
1974 X – 1977 IX Dekan
1977 – 1984 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Robert-Koch-Instituts des Bundesgesundheitsamtes
Ehrungen: Ferdinand-Coch-Medaille d. Dt. Ges. für Hygiene u. Mikrobiologie (1991)
W. wurde als dritter Sohn des Professors für Philosophie Max W. in Marburg geboren. Seinen Vorname erhielt er nach dem Großvater Wilhelm W. (1832-1920), dem berühmten Begründer der Experimentalpsychologie. 1920-1929 wohnte die Familie in Jena, wo W. eine Volksschule besuchte. 1929 wurde der Familienvater auf den Lehrstuhl für die Geschichte der Philosophie an der Universität Tübingen berufen. Hier verbrachte W. die entscheidenden Jahre seines Lebens. Es zeigte sich, dass er in einer gebildeten und gut situierten Familie aufwuchs. Sein Vater war allerdings extrem nationalistisch und antisemitisch eingestellt. Inwieweit dies seine Söhne geprägt hat, ist kaum herauszufinden. Bekannt ist nur, dass der Gymnasiast W. mit 14 Jahren Mitglied der Hitlerjugend wurde, was ja damals sehr üblich war. Was den Vater betrifft, so gingen seine „politische Einstellungen bereits Jahrzehnte vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten mit den neuen Machthabern konform“ (Urban Wiesing u. a., Hg. Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus, 2010, 405). Obwohl kein Parteimitglied, genoss Max W. deren Anerkennung.
Im Februar 1938 bestand W. das Abitur und nach sechs Monaten des damals obligatorischen Arbeitsdienstes wurde er zum Militär einbezogen, aus dem er bald fürs Medizinstudium beurlaubt wurde, das er ab Frühjahr 1940 aufnahm. Nach einer Unterbrechung ab Sommer 1940 bis Frühjahr 1941 – diese Zeit war W. „bei der Truppe als Sanitätsdienstgrad“ (UA Tübingen 126a/540) – konnte W. Anfang August 1942 die ärztliche Vorprüfung mit guten Noten ablegen. Unter Vaters Fittichen war es W. möglich, auch während des Kriegs zu studieren; als Sohn eines Universitätsprofessors war er „von Unterrichtsgeld befreit“ (UA Tübingen 364/31334). Nach einem klinischen Semester in Tübingen ging W. für drei Semester nach Wien, um in der Wiener Universitätsklinik unter Anleitung des Direktors, des bedeutenden Internisten Hans Eppinger (1879-1946), seine Doktorarbeit durchzuführen. Eines der Forschungsgebiete Eppingers war die Lebererkrankungen, und W.s Aufgabe war, die sog. Brugsche Reaktion weiter zu erforschen. Diese Reaktion bedeutet den Nachweis von Porphin in Harn als Diagnosemethode. W. fand, dass sie bei allen Gelbsuchtsformen gleichartigen Verlauf aufweist. Zum WS 1944/45 kehrte W. nach Tübingen zurück.
Es scheint, dass er sich damals fieberhaft beeilte, alle seine Angelegenheiten vor dem unvermeidlich heranrückenden Zusammenbruch zu erledigen. Am 20. Januar 1945 schloss er die Ehe mit der Tübinger Medizin-Doktorandin Ruth Näser (sie wurde 1947 promoviert). Gleichzeitig bereitete er sich auf die Promotion in Tübingen vor. Dazu beschaffte er sich einen Brief von Eppinger (vom 4. Januar 1945), in welchem dieser schrieb: „Da Herr W. derzeit nicht in der Lage ist, nach Wien zu kommen, erkläre ich mich mit der Promotion des Genannten in Tübingen einverstanden“ (UA Tübingen, 125/248, 252); er bewertete W.s Doktorarbeit mit „gut“. W. konnte noch eine ärztliche „Notapprobation“ bekommen. Weitere Vorbereitungen zur Promotion – sein Gesuch um Zulassung „zur Dr. Promotion“ (ebd.) ist mit 8. April datiert! – wurden unterbrochen: Am 19. April rückten französische Panzer in Tübingen ein. Nach wenigen Tagen, am 28. April, wurde W., der ja noch der Reichswehrmacht angehörte, interniert. Drei Monate lang musste er in einem amerikanischen Lazarett in Füssen im Allgäu arbeiten und wurde danach aus der Gefangenschaft entlassen. Mit der Neueröffnung der Universität am 15. Oktober 1945 meldete sich W. unverzüglich zur Aufnahme an die Medizinische Fakultät an und wurde zum Studium für WS 1945/46 zugelassen: Nun war er bestrebt, sein Studium ordnungsgemäß abzuschließen. Am 20. August 1946 bestand er mit guten Noten das Staatsexamen und erhielt die Bestallung als Arzt. Bald danach promovierte er mit seiner Wiener Arbeit zum Dr. med., auch mit der Note „gut“.
Jetzt musste W. seine Pflichtassistentenzeit ableisten. Er arbeitete auf einer Allgemeinen Station mit Infektionsabteilung der Tübinger Universitätsklinik und am 1. September 1947 erhielt seine endgültige Approbation. Anschließend war er in der Medizinischen Poliklinik eingesetzt.
Ab Juli 1948 wurde W. Verwalter einer Assistentenstelle im Hygiene-Institut unter dessen damaligen Direktor Otto Stickl (1897-1951), und so begann seine Laufbahn als Mikrobiologe und Hygieniker. Stickls Forschungsgebiet war vor Allem die klinische Bakteriologie, was natürlich auch W.s wissenschaftliche Entwicklung beeinflusste. Der Nachfolger Stickls, Richard-Ernst Bader (1913-1996), neigte auch mehr zur Mikrobiologie als zur allgemeinen Hygiene. Seinen eigenen Interessen folgend, schlug er W. vor, die Bakteriengattung Salmonella, die Typhuskrankheiten erregt, zu erforschen, so dass W. weiter in der Bakteriologie arbeitete.
Zunächst hatte W. kein eigenes Forschungsgebiet; seine ersten Publikationen zeigen, dass er klinische Untersuchungen mikrobiologisch unterstützte, die man in der Chirurgischen Klinik durchführte. Auch die Salmonellen-Thematik, die er viele Jahre bearbeitete, war nicht seine eigene. Der Anlass zu selbständigen mikrobiologischen Forschungen ergab sich, als das sog. Maltafieber (eine Art von Brucellose) in der Region beobachtet wurde. Dies bestätigte deutlich, dass Brucellosen sich von Süd gen Nord ausbreiteten. So wurde es notwendig, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Krankheit, ihrer Epidemiologie und mit dem Nachweis der Erreger in die Wege zu leiten. W. wandte sich diese Problematik zu.
Nach seiner Publikation über das Maltafieber in Württemberg (1955) wurde W. im Frühjahr 1956 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgefordert, am Schwerpunkt „Brucelloseforschung“ mitzuarbeiten. Im Rahmen dieses Schwerpunktprogramms arbeitete er vier Wochen an der französischen Brucellosezentrale in Montpellier und machte sich mit den dort angewandten Methoden vertraut. In seiner eigenen Arbeit konzentrierte sich W. zunächst auf die Erforschung des Erregers der Gattung Brucellen. Er entwickelte ein effektives Züchtungsverfahren. Danach, aufgrund der Untersuchung von 153 Brucellenstämmen unter Anwendung aller zugänglichen Methoden, die er teilweise selbst entwickelt oder verfeinert hatte, so dass er ein einwandfreies diagnostisches System der Typenbestimmung aufbauen konnte, lieferte W. seine Klassifikation von Brucellentypen.
Dieses Ergebnis legte er Anfang 1957 der Fakultät als Habilitationsschrift vor. Die beiden Gutachter, Bader und der Tropenmediziner Professor Ludolph Fischer (1900-1972) bewerteten die Schrift W.s sehr hoch. W. hat es verstanden, schrieb Bader, „die in der Brucellaforschung ungelösten Probleme klar zu sehen und den Weg zu ihrer experimentellen Lösung zu finden“ (UA Tübingen, 386/48). Der Abhandlung W.s „liegt eine ungewöhnliche Arbeitsleistung zugrunde“, so Fischer, „die nicht nur durch Fleiß und Umfang, sondern vor allem durch Gründlichkeit, Exaktheit und Klarheit ausgezeichnet ist“ (ebd.).
Am 16. Juli fand „die wissenschaftliche Ansprache“ statt, dazu hielt W. den Vortrag über „Die Bedeutung der Typendiagnose mit Bakteriophagen für epidemiologische Untersuchungen“. Sein Vortrag „war didaktisch geschickt aufgebaut und führte auch den Nichtfachmann gut in diese stark spezialisierte Arbeitsrichtung ein“, berichtete der Dekan (UA Tübingen 126a/540). Da W. bereits seit 1954 allgemeine Bakteriologie in der Gerbereifachschule in Reutlingen unterrichtete und ab SS1957 mit der Abhaltung von Vorlesungen für Medizin-Studenten betraut war, wobei er „eine gute Lehrbegabung“ (ebd.) zeigte, hat die Fakultät diese Tätigkeit anstelle einer Probevorlesung angerechnet. Am 9. August 1957 ernannte das Kultusministerium W. zum Dozenten.
Die grundlegende Publikation W.s über Typenbestimmung von Brucellen und über deren Systematik (1958) brachte W. internationale Anerkennung. Im November 1959 wurde er zum Mitglied des „Subcommitee on the Taxonomy of Brucellae“ des „International Commitee on Bacteriological Nomenclature“ gewählt; er nahm an dessen erster Sitzung in London im August 1961 teil. Außerdem, als er die Erforschung des Erregers weitgehend abgeklärt hatte, begann er eine Untersuchung der Epidemiologie von Brucellosen und bereitete zwei wichtige Beiträge dazu für das „World-atlas of epidemic diseases“.
Bemerkenswert ist, dass W. ein sehr spezifisches und scheinbar enges Gebiet so vielseitig und gründlich bearbeiten konnte, dass sein Werk über Brucellen zu einem Muster oder gar Modell für bakteriologische Forschung wurde.
Seine Ergebnisse über die Systematik der Brucellen stellte W. im August 1962 dem VIII. Internationalen Kongress für Mikrobiologie in Montreal dar. Sein Vortrag bestätigte die Anerkennung, die er in der Fachwelt des In- und Auslands schon gewonnen hatte. Einige Monate später, im Februar 1963, hielt W. den Vortrag „Probleme der Brucellosen und ihrer Erreger“ am Institut für Arbeitsmedizin und Hygiene auf dem Lande in Lublin, Polen, wo er eingeladen war. An dem nächsten, IX., Mikrobiologischen Kongress im Juli 1966 in Moskau wurde W. zum Vorsitzenden des Subkomitees für die „Taxonomie der Brucellen“ der Internationalen Gesellschaft für Mikrobiologie (International Society for Microbiology) gewählt.
Auch in der Universität wuchs das Ansehen W.s. 1963 beantragte die Fakultät, auf Veranlassung Baders, die Beförderung W.s zum Professor. Um sicher mit seinem Antrag zu sein und ihn bei dem Ministerium zu unterstützen, bat die Fakultät drei auswärtige Direktoren der Hygiene-Institute, Gutachten über W. vorzulegen. Der erste Gutachter, Heinrich Reploh (1906-1976), betrachtete ausführlich die wissenschaftliche, literarische und Vortragstätigkeit W.s und hob vor Allem die Bedeutung dessen Arbeiten über Brucellen hervor, insbesondere „eine ganze Reihe von noch unerklärten speziellen Fragen der bakteriologischen und serologischen Diagnostik“, die W. als erster bearbeitet habe. Reploh betonte „eindeutig“, dass W. „ein sehr talentierter, fleißiger und kritischer Fachkollege ist, von dem gewiss noch eine weitere nennenswerte Förderung des Fachgebietes zu erwarten ist“ (UA Tübingen 386/48). Die beiden anderen Gutachter, Horst Gartner (1901-2001) und Hort Habs (1902-1987), bestätigten auch die „Lehrstuhlreife“ W.s und förderten dessen Ernennung zum Professor.
Schon früher, nach seiner Habilitation, wurde W. mit den Vorlesungen über Gesundheitsfürsorge und über Schulhygiene beauftragt. Im Zusammenhang mit neuen Unterrichtsverpflichtungen erweiterte W. auch die Forschungsthematik. So beschäftigte er sich mit hygienischen Grundlagen für die Trinkwasserversorgung des mittleren Neckarraums und des Großraums Stuttgart. Weiter stellte W. Untersuchungen zur Schulhaus-Hygiene an. Dabei waren viele Mängel, selbst in neugebauten Schulen, zu konstatieren, besonders bezüglich der Lüftung. Anschließend, in Zusammenarbeit mit Tübinger Physikern, wurden experimentelle Untersuchungen über den Gasaustausch in geschlossenen Räumen durchgeführt. Diese Erfahrungen über die Hygiene von Spezialbauten erschienen in der späteren Tätigkeit W.s sehr nützlich.
W.s sehr intensive literarische und Vortragstätigkeit während seiner Tübinger Zeit war wohl durch sein innerstes Bestreben bestimmt, die akademische Leiter bis zur höchsten Stufe zu ersteigen. Dass er dabei keine administrative Verpflichtungen hatte, erleichterte ihm jene Aktivitäten. Der ersehnte Ruf auf ein Ordinariat kam im Herbst 1965 aus Heidelberg.
Im Dezember 1963, nach dreijährigen Planungen und Vorbereitungen, beschloss der Landtag von Baden-Württemberg, eine zweite Medizinische Fakultät der Heidelberger Universität in Mannheim zu gründen. Dank der effektiven Arbeit der Gründungskommission wurde es möglich, bereits im November 1964 diese Fakultät zu eröffnen und mit den ersten Vorlesungen zu beginnen. Zunächst wurden nur drei Lehrstühle – für Innere Medizin, Chirurgie und Pathologie – besetzt. Die Besetzung des geplanten Lehrstuhls für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie stellte besondere Anforderungen an den zu kommenden Lehrstuhlinhaber. Denn der Kandidat sollte gleichzeitig beide Gebieten beherrschen, während die bekannten Professoren entweder Hygiene oder Mikrobiologie betrieben. Auf der Liste der Berufungskommission wurde W. als Erster genannt. Nach den Verhandlungen im Dezember 1965 wagte es W., den Ruf – und damit auch eine große Verantwortung – anzunehmen. Nun hatte er ein neues Institut ab ovo aufzubauen und gleichzeitig die Lehrveranstaltungen zu organisieren. Kein Wunder, dass er sich damals als „ reiner Verwaltungsbeamter“ fühlte (Gawliczek 1967, 153), der nebenbei Unterricht durchführen müsse und keine Möglichkeit wissenschaftlich zu arbeiten habe.
Bis Anfang 1967 hauste das Institut in einigen Räumen des Heidelberger Pathologischen Instituts und hatte auch ein Dienstzimmer im Klinikum Mannheim. Die ersten Mitarbeiter waren eine medizinisch-technische Assistentin und eine Sekretärin. Anfang Januar zog das Institut in angemietete Räume in Mannheim, und zwar in das Franz-Xaver-Haus, D6, 4-6. (Heute gehören diese Räume dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, ZI). Eben in diesem Gebäude hielt W. am 14. Juni 1967 (endlich!) seine Antrittsvorlesung über „Die Mikrobiologie im Studium der Medizin“. Zum Schluss richtete er sein Hauptaugenmerk auf die dringende Notwendigkeit, sich um wissenschaftlichen Nachwuchs in der Mikrobiologie zu kümmern: „Der erschreckende Mangel an jungen Wissenschaftlern in den theoretischen medizinischen Fächern ist eine schwere Hemmnis für die weitere Entwicklung der Forschung“ (1967, Die Mikrobiologie…, 128). Hier ist hinzuzufügen, dass es W. gelang, einen bedeutenden Beitrag zur Lösung dieses Problems beizubringen: Bei ihm promovierten insgesamt 70 Ärzte und habilitierten sich fünf Wissenschaftler.
Zunächst musste W. allein die zweisemestrige Vorlesung über Hygiene und dazu seinen „Bakteriologisch-serologischen Kurs“ abhalten. Erst ab WS 1968/69 erhielt er den ersten Helfer im Unterricht. Danach konnte W. auch beginnen, das Mikrobiologische Praktikum aufzubauen.
Als er im Frühjahr 1970 einen Ruf nach Bonn erhielt, gelang es ihm bei Verbleibverhandlungen einige weitere Stellen für sein Institut und, was ihm besonders wichtig war, Räume auf dem Gelände des Klinikums durchzusetzen. Diese Räume im Neubau „Laboratoriumzentrum“ waren vor Allem für die bakteriologische Diagnostik nötig, deren Arbeit bisher durch die räumliche Entfernung von D 6 in der Innenstadt zum Klinikum am anderen Neckarufer sehr behindert gewesen war. Gleichzeitig übernahm W. die Leitung des Hygiene-Instituts, das bisher dem Klinikum angehörte; die beiden Institute wurden verschmolzen. In demselben ereignisvollen Jahr 1970 wurde im Rahmen des Instituts die Abteilung für Immunologie und Serologie gegründet. Darüber hinaus wurde die Lehranstalt für medizinisch- technische Assistentinnen (MTA-Schule) 1970 nach W.s Initiative beim Klinikum gegründet; W. übernahm deren Leitung. Auch die Lehre profitierte von dieser Erweiterung: Endlich konnte ein richtiges „Bakteriologisches Praktikum“ veranstaltet werden. W. verstand es, auch auswärtige Lehrkräfte heranzuziehen, um den Kurs über Arbeitsmedizin durchführen zu können.
Nun konnte W. zur Forschungsarbeit zurückkehren, die er meisterhaft unter seinen Mitarbeitern verteilte. Er kümmerte sich ständig um Verbesserung der Forschungsmethoden, was die Erweiterung des Arbeitsfelds ermöglichte. Eine Reihe von Untersuchungen wurde der Wirksamkeit verschiedener Antibiotika in Zusammenhang mit Resistenzentwicklung bei Erregern gewidmet. In wichtigen Arbeiten zur Lebensmittelhygiene wurde experimentell nachgewiesen, dass die Überlebensfähigkeit einiger Durchfall-Erreger in gekühlten und tiefgefrorenen Nahrungsmitteln mehrere Wochen lang bestehe. Als außerordentlich bedeutendes wissenschaftliches und organisatorisches Werk W.s galt, dass er die Krankenhaushygiene in das Klinikum in bisher unbekanntem Maße eingebracht hatte.
Auffallende organisatorische Leistungen W.s veranlassten seine Fakultätskollegen, ihn zwei Mal zum Dekan zu wählen. Als Dekan beschäftigte er sich mit voller Hingabe mit den Problemen der Universitätsselbstverwaltung. Glücklicherweise konnte er damals seine Lehrverpflichtungen unter seinen habilitierten Mitarbeitern aufteilen, Aber er nahm nach wie vor an Kolloquien über medizinische Mikrobiologie teil, um systematische Kontakte mit seinen Doktoranden und Mitarbeitern weiter pflegen zu können.
Auch außerhalb der Universität wirkte W. wissenschaftlich-organisatorisch. Für die Jahre 1973 bis 1975 wurde er zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie ernannt und leitete 1975 die Tagung dieser Gesellschaft in Mannheim. W. beteiligte sich intensiv an der Vorbereitung des XII. Internationalen Kongresses für Mikrobiologie in München, und zwar als Vorsitzender des Organisationskomitees der Bakteriologischen Sektion. 1978 wurde ihm das Präsidium des Kongresses übertragen. Noch mehr: viele Jahre war W. auch als Gutachter bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft tätig.
Nach der Übergabe des Dekanats und der Vorbereitung und Durchführung des Münchener Kongresses verbrachte W. die letzte Dekade seines Berufslebens in einer vergleichsmäßig ruhigen Professorentätigkeit. In diese Zeit fielen wichtige Untersuchungen über Plasmide (d. h. extrachromosomale Gene) von Gonokokken und Staphylokokken, die in Zusammenarbeit mit Mikrobiologen der Universität Bristol, England, und auch mit dem Department of Plasmid Biology, New York, durchgeführt wurden. Insgesamt trug das vielseitige und sehr intensive Wirken W.s viel zum bundesweiten und internationalen Ansehen des Mannheimer Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie bei, das es sich auch nach W.s Emeritierung im Herbst 1987 bewahrte.
Im Ruhestand beschäftigte sich W. meist mit dem Arbeitsgebiet seines Großvaters, nämlich Psychologie. Schon vor seiner Emeritierung nahm er an der Verwaltung des Briefnachlasses seines Großvaters in Leipzig teil. W. starb wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag.
111 Publikationen W.s, die belegt werden konnten, spiegeln seine sehr vielseitige Arbeit als Mikrobiologe und Hygieniker. Die berufliche Bahn W.s teilt sich natürlicherweise in die Tübinger und in die Mannheimer Periode. Der Schwerpunkt seiner Tübinger Tätigkeit war die Forschung, die vor Allem durch bahnbrechende Ergebnisse über Brucellen bezeichnet wurde. Die Mannheimer Zeit war dagegen hauptsächlich mit bedeutenden wissenschaftlich-organisatorischen Leistungen erfüllt, nämlich: Die Pionierarbeit des Aufbaus seines Instituts, aktive Tätigkeiten in zahlreichen Gremien, Vorbereitung des XII. Internationalen Mikrobiologischen Kongress in München, Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie, drei Jahre als Dekan.
Die Hauptleistungen W.s, Erforschung von Brucellen und Aufbau des Instituts und des Lehrfachs Hygiene und Medizinische Mikrobiologie in Mannheim, sichern seinen berechtigten Platz in der Geschichte der Medizin in Deutschland.
Q UA Tübingen: 364/31334, Studentenakte W.; 125/248, 252, Promotionsvorgang W.; 126a/540, 386/48: Personalakten W. ; UA Heidelberg: PA 1259, PA 8946 (Personalakten W.), H-III-568/1 (Lehrstuhl für Hygiene und Mikrobiologie in Mannheim); StadtA Mannheim: S2/363 (Sammlung über das Klinikum Mannheim); Auskünfte aus dem StadtA Tübingen vom 2.10. u. UA Tübingen vom 4.10.2017
W (mit L. Makowsky, H. Knoblauch u. F. Kootz) Die temporäre Unterdrückung d. Dickdarmflora u. ihre Bedeutung für die Dickdarmchirurgie, in: Medizinische Klinik 45, 1950, 133-137;
(mit P. Matis) Die Wirkung des Rutins auf Sulfonamide u. Antibiotika, in: Neue Medizinische Welt 1, 1950, 743-745; Untersuchungen über die Reduktionswirkung von Bakterien auf Triphenyltetrazoliumchlorid, in: Deutsche med. Wochenschrift 75, 1950, 1471f.; (mit P. Matis) Die Ausschaltung penicillinbedingter Störungen des Wundheilverlaufes durch Rutin, in: Langenbecks Archiv für klinische Chirurgie 268, 1951, 436-445; (mit H. Knoblauch) Zur Frage d. Penicillinkonzentration im Blute nach Depotpenicillin unter besonderer Berücksichtigung d. Blockade d. Tubulussekretion mittels p-di-n-propylsulfailbenzoesäure (Benemid), in: Die medizinische Welt 20, 1951, 1263-1265; Über eine kulturelle Variante von Salmonella paratyphi B, in: Zs. für Hygiene u. Infektionskrankheiten 136, 1953, 397-399; (mit K. M. Bauer) Untersuchungen über Blutspiegel u. Ausscheidung bei intramuskulär verabreichtem Terramycin, in: Die medizinische, 1954, 1516-1518; Enteritis bei Kindern durch Salmonella derby, in: Zentralblatt für Bakteriologie, 1. Abt., Originale, 161, 1954, 237f; Erstmalige Beobachtung von Maltafieber in Württemberg, in: Deutsche med. Wochenschrift 80, 1955, 114-116; Papierchromatographische Untersuchungen von Farbstoffen auf ihre Eignung zur Unterscheidung von Brucellen, in: Zentralblatt für Bakteriologie, 1. Abt., Originale, 164, 1955, 96-98; Methodik u. Verwertbarkeit serologischer Verfahren zur Ermittlung des Erregertyps bei Brucellosen, in: Zs. für Hygiene u. Infektionskrankheiten 144, 1957, 229-237; Untersuchungen über die Eignung von Peptonen zur Prüfung d. Schwefelwasserstoffbildung von Brucellen, ebd., 425-435; Untersuchungen zur Entwicklung leistungsfähiger Brucellennährböden, , in: Zentralblatt für Bakteriologie, 1. Abt., Originale, 169, 1957, 393-402; Fehlerquellen u. ihre Ausschaltung bei d. Prüfung d. Farbstoffresistenz von Brucellen, ebd., 171, 1957/58, 166-177;
Die Bedeutung bakteriologischer u. serologischer Methoden für die Diagnostik menschlicher Brucellosen, in: Deutsche med. Wochenschrift 83, 1958, 1041-1044; Die Typenbestimmung von Brucellen u. ihre Bedeutung für die Systematik des Genus Brucella, in: Zs. für Hygiene u. Infektionskrankheiten 145, 1958, 235-251; Untersuchungen über die Antigenstruktur von Intermediärstämmen aus d. Gattung Brucella, ebd. 145, 1959, 543-555; Zur Frage d. Antigengemeinschaften zwischen Brucellen u. Bakterien anderer Gattungen, ebd., 556-563;
Die Laboratoriumsdiagnostik d. menschlichen Brucellosen, in: Das ärztliche Laboratorium 6, 1960, 170-179; Brucellose In Europa 1929-1955, in: E. Rodenwaldt, H. J. Jusatz (Hg.) World-atlas of epidemic diseases, Part III, 1961, III/7- III/10; Die Verbreitung d. Brucellose auf d. Erde, ebd.,III/11-III/16; Die Biochemie u. Serologie d. Brucellen, in: Ergebnisse d. Mikrobiologie 34, 1961, 119-179; Die Zusammenarbeit zwischen Arzt u. Laboratorium zur Diagnose infektiöser Darmkrankheiten, in: Die Therapie des Monats 12, 1962, Nr. 3, 66-70; Karstwasser u. Hygiene, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 117, 1962, 28f.;
Die Prüfung d. Empfindlichkeit von Brucellastämmen gegen Bakteriophagen, in: Zentralblatt für Bakteriologie, 1. Abt., Originale, 185, 1962, 182-187; Zur Ausbreitung des Typhus abdominalis, des Paratyphus u. d. Salmonellenenteritis, in: Hippokrates 33, 1962, 481-486; Stoffwechseluntersuchungen als experimentale Grundlage zur Einteilung des Genus Brucella, in: Zentralblatt für Bakteriologie, 1. Abt., Originale,189, 1963, 389-404; (mit J. Voss) Zur Frage von Infektionen durch Speiseeis, in: Archiv für Hygiene u. Bakteriologie 147, 1963, 358-368;
Spezialbauten (Schulen u. Krankenhäuser), in: H. Gärtner, H. Reploh (Hg.) Lehrbuch d. Hygiene, 1964, 195-200; (auch 2. Aufl., 1969, 224-227); Infektion als Berufsrisiko, in: Deutsche med. Wochenschrift 89, 1964, 1577-1582; (mit P. Schnittenheim) Das Verhalten von Salmonellen u. Staphylokokken in gekühlten Nährungsmitteln, in: Archiv für Hygiene u. Bakteriologie 149, 1965, 567-562; Enterobacteriaceae, in: H. Reploh u. H.-J. Otte (Hg.) Lehrbuch d. Medizinischen Mikrobiologie, 2. Aufl., 1965, 251-283 (auch 3. Aufl., 1968, 273-306); Experimentelle Erzeugung von Krankheiten durch Salmonellen u. Shigellen, in: O. Eichler (Hg.) Handbuch d. experimentellen Pharmakologie, Bd. XVI, Teil 10, 1966, 144—243;
(mit J. Gayer u. H.-U. Haug) Die Resistenzentwicklung häufiger Erreger von Harnwegsinfektionen gegen Antibiotika u. Chemotherapeutika von 1956 bis 1965, in: Die Medizinische Welt 1966, Nr. 13, 617-623; Die Systematik d. Brucellen, in: Zentralblatt für Bakteriologie, 1. Abt., Originale, 205, 1967, 234-241; (mit Kl. Graff, U. Lutz-Dettinger u. W. Wiesner) Selbstlüftung geschlossener Räume, in: Gesundheits-Ingenieur 88, 1967, 173-178;
(mit U. Lutz-Dettinger u. U. Eppenstein) Die Messung des CO2-Gehaltes als Indikator für die hygienische Beurteilung d. Raumluft, in: Archiv für Hygiene u. Bakteriologie 151, 1967, 41-53;
Die Mikrobiologie im Studium d. Medizin, in: Ruperto Carola 19. Jg., Bd. 42, 1967, 124-128;
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B Foto 1966 UA Heidelberg Pos I 03371; Univ. Tübingen, Bildersammlung
(https://tobias-bild.uni-tuebingen.de/BildsucheFrames?easydb=lkogbm16p8530vthbab2qt0t33&ls=2&ts=1484749630); Vgl. L