Bredereck Hellmut Johannes Friederich, Chemiker

*29.05.1904, Frankfurt/M. Ev. +2.05.1981, Stuttgart.

V Friedrich Wilhelm Richard B. (1870-1945), städtischer Beamter in Frankfurt.

M Ottilie Elise, geb. Weber (1882-?)

G 1: Elise Friderika Johanna (*1907).

∞ 14.11.1933 (Leipzig) Elisabeth Niedergerke (1905-)

K 3: Karl (*1935); Hans-Joachim (*1938), Peter Michael (*1943)

              1910-1922                              Schulbildung in Frankfurt: 1910-1913 Bornheimer Mittelschule; 1913-1922 Goethe-Gymnasium; Abitur Ostern 1922.

              1922 V – 1927 II                     Studium Chemie an den Universitäten Frankfurt (SS 1922-WS 1924/25) u. Greifswald; 1925 Diplom-Examen

              1927 II 14                               Promotion summa cum laude zum Dr. phil.; Diss.: Halogenhydrine d. Glucose“; Diplom vom 18. März 1927

              1927 II – 1930 III                    Assistent am Chemischen Institut d. Univ. Greifswald

              1930 IV – 1941 IV                  Assistent am Chemischen Laboratorium d. Univ. Leipzig

              1933 XI                                   Habilitation mit d. Schrift „Zur Konstitution d. Hefe-Nucleinsäure“;

                                               Probevorlesung „Nucleinsäuren u. Co-Fermente“ 11.11.1933

              1933 XI – 1939 XI                  Privatdozent für Chemie

              1939 XI – 1941 IX                  Außerplanmäßiger Professor

              1941 X -1945 V                      Vertreter, ab September 1942 Planmäßiger a.o. Professor u. Direktor des Instituts für Organische Chemie u. Biochemie an d. Universität Jena

              1948 I – 1972 IX                     o. Professor u. Direktor des Instituts für Organische Chemie u. Organisch-chemische Technologie an d. TH (seit 1967 Univ.) Stuttgart; WS 1972/73 – WS 1973/74 Vertreter seines Lehrstuhls

              1956-1958                              Dekan d. Fakultät für Natur- u. Geisteswissenschaften

              1959-1961                              Rektor

              1961-1963                              Vorsitzender d. baden-württembergischen Rektorenkonferenz

Ehrungen: Emil-Fischer-Medaille d. Ges. Deutscher Chemiker (1966); Präsident d. Ges. Deutscher Chemiker (1968-1970); Großes Bundesverdienstkreuz d. BRD (1969)

Über Familie und frühere Jahre des bedeutenden Chemikers und Wissenschaftsorganisators B. ist sehr wenig bekannt. Er wurde in Frankfurt als Sohn des städtischen Beamten Richard B. geboren, der zuletzt zum Oberverwaltungsdirektor befördert wurde. B. besuchte zunächst die Bornheimer Mittelschule (Realschule) und danach das Goethe-Gymnasium, das 1897 als Reform-Gymnasium gegründet worden war und als Modell für die Reform des Gymnasialwesens in Preußen diente. Ostern 1922 bestand B. sein Abitur und ab Sommersemester 1922 begann er das Chemiestudium an der Universität seiner Heimatstadt. Nachdem er Ostern 1923 einen Arbeitsplatz am Chemischen Institut erhalten hatte, bestand er die Verbandsexamina in der Anorganischen und in der Organischen Chemie im Mai 1924 bzw. im Februar 1925. Von der Organischen Chemie, wie sie Professor Burkhardt Helferich (1887-1982) unterrichtete, war B. so begeistert, dass er sich bei Helferich meldete, um dessen Doktorand zu werden. Helferich wurde aber zum SS 1925 an die Universität Greifswald als Ordinarius für Chemie und Direktor des Chemischen Instituts berufen. So wechselte auch B. nach Greifswald. Auf Anregung Helferichs führte B. seine Doktorarbeit auf dem experimentell sehr schwierigen Gebiet der Kohlenhydratchemie aus. Ende 1926 war er fertig und im Januar 1927 legte seine Dissertation vor. In seinem Gutachten betonte Helferich B.s „ausgezeichnetes Verständnis für die theoretischen Fragen und Aufgaben seiner Arbeit“, sowie „die unermüdliche Zähigkeit, die sich durch Misserfolge nicht zurückschrecken lässt“ (UA Greifswald, Phil. Diss. II-321). Er bewertete die Dissertation mit „sehr gut“. Die mündliche Prüfung in der Chemie, Physik und Geologie bestand B. auch mit „sehr gut“.

Noch vor dem Doktorexamen erhielt B., auf Helferichs Antrag, eine planmäßige Assistentenstelle am Chemischen Institut. Er war als Privatassistent Helferichs tätig und „hat sich in die ihm zugewiesenen Arbeiten so ausgezeichnet eingearbeitet, dass es für das Institut ein außerordentlich schwerer Verlust wäre, ihn <…> zu verlieren (UA Greifswald, K 559), so begründete Helferich seinen Antrag, die Beschäftigungszeit B.s um weitere zwei Jahre zu verlängern. Fünf Artikel über Zuckerchemie, die Helferich und B. zusammen publizierten, bewiesen Helferichs Worte.

Zum Sommersemester 1930 wurde Helferich an die Universität Leipzig berufen, und B. folgte ihm nun nach Leipzig. Obwohl B. hier die Arbeit in Helferichs Gebiet, der Kohlenwasserstoffchemie, fortsetzte, fing er bald auch ganz selbständige Untersuchungen an, und zwar auf dem damals noch wenig erforschten Gebiet der Nukleinsäuren. B. erarbeitete einfache und effektive chemische und vor Allem enzymatische Abbaumethoden, die zu Bausteinen der Nukleinsäuren, d.h. zu Nukleotiden und weiter zu Nukleosiden führten. Insbesondere wurde für Nukleoside die sog. Furanosestruktur bewiesen, was einen bedeutenden Fortschritt in der Aufklärung deren Konstitution bezeichnete. Bereits im Juni 1933 legte B. seine Ergebnisse als Habilitationsschrift vor. In seinem sehr positiven Gutachten schrieb Helferich: „Hr. Dr. B. hat durch seine Arbeit einen exakten, sehr wertvollen Beitrag zur Chemie der Nucleinsäuren geliefert <…> Dies ist ihm dank seiner klaren Problemstellung und der klaren Beantwortung, besonders aber dank seiner ungewöhnlichen chemischen Experimentierkunst gelungen“ (UA Leipzig, PA 347, Bl. 17f.). Der zweite Gutachter, Max Le Blanc (s. dort), betonte den „guten Eindruck“ (ebd., Bl. 19) von der Schrift B.s und unterstützte die Empfehlung, ihn zur Habilitation zuzulassen.

Um die Genehmigung des Sächsischen Kultusministeriums für das Habilitationsverfahren zu erhalten, musste B. eine Erklärung unterschreiben, dass er keiner Freimauerloge angehöre. Mehr noch: Er wurde gezwungen, in die SA einzutreten. Allerdings schied er nach zwei Jahren, aufgrund einer Fußverletzung, wieder aus. (Vermutlich war die Verletzung nicht ernst, weil bezeugt wurde, dass B. noch nach dem Krieg Fußball spielte). Über B.s politische Einstellungen gibt es keine direkten Hinweise. Die Machthaber hielten ihn für zuverlässig und hatten keine Einwendungen gegen seine Beförderungen. B. selbst handelte, so scheint es, einfach pragmatisch, um ungehindert arbeiten zu können: Er folgte den formalen Spielregeln und wurde automatisch Mitglied des NS-Lehrerbundes, trat aber nie in die NSDAP ein.

Anfang November kam die Ministeriale Genehmigung. Sofort fand das Habilitations-Kolloquium statt, wo B. über „Optische Aktivität ohne asymmetrische Zentralraum“ vortrug. „Dr. B. machte mit seinem Vortrag und seinem Eingehen auf die Diskussionsfragen auf die ganze Kommission einen ausgezeichneten Eindruck“ (ebd., Bl. 22). Nach dem bestandenen Kolloquium blieb nun die Probevorlesung, die B. am 11. November „mit sehr guten Erfolg“ hielt (ebd., Bl. 30). Am selben Tag erteilte die Fakultät B. die Venia legendi für das Fach Chemie.

Als Privatdozent las B. über ausgewählte Kapitel der organischen Chemie. „Sein Vortrag ist ruhig, wissenschaftlich klar, auch bei komplizierten Fragen. Die Studenten gehen gern in seine Vorlesung“, teilte Helferich im Herbst 1937 mit (UA Leipzig, PA 347, Bl. 47f.). Im Chemischen Laboratorium wurde B. nun Unterrichtsassistent und leitete Arbeiten von Studenten im Praktikum für Organische Chemie. Schwerpunkt der Tätigkeit B.s waren weitere Untersuchungen über Nukleinsäuren, wobei B. mehrere Doktoranden für diesen Bereich begeistern konnte. Insbesondere hat B. entscheidend zur Aufklärung der Ring-Struktur von Ribonukleosiden und Ribonukleotiden beigetragen. Neuen Forschungsergebnisse, besonders nach dem Erscheinen zweier wichtigen Übersichtsaufsätze (1938), brachten B. die Anerkennung der Fachwelt.

Anfang 1939 beantragte Helferich einen Professorentitel für B. „auf Grund B.s Persönlichkeit, seiner Eignung und Erfolge als akademischer Lehrer und der für sein Alter außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen“ (UA Leipzig, PA 347, Bl. 78). Im November 1939, nach sechs Jahren als Privatdozent, wurde B. der Titel eines außerplanmäßigen a.o. Professors erteilt. Im Mai 1940 hielt der neue Professor seine Antrittsvorlesung über „Fermente, Hormone und ihre Beziehungen zueinander“. Nach wie vor betreute er viele Doktoranden, um weiter die Nukleinsäure zu erforschen.

Im August 1941 erhielt B. einen Ruf auf den freigewordenen Lehrstuhl für Organische Chemie als planmäßiger a. o. Professor und Direktor der Abteilung für Organische Chemie an der Universität Jena, den er annahm. Das alte Chemische Laboratorium der Jenaer Universität wurde 1941-1942 wegen neu entstandener Kriegsbedürfnisse aufgelöst und in die Institute für Technische Chemie, Anorganische Chemie, Physikalische Chemie und für Organische Chemie und Biochemie aufgegliedert. B.s Aufgabe war, das letztere Institut neu aufzubauen. Auch in Jena bemühte er sich sein geliebtes Forschungsfeld zu bearbeiten. Die letzten, XX. und XXI. Mitteilungen über Nukleinsäure-Experimentalarbeiten erschienen im Jahre 1942. Danach musste B. sich ausschließlich mit Aufgaben beschäftigen, die der Krieg vorgab und die eigentlich von Anfang in Jena an von ihm verlangt wurden. Vor Allem war es die Erarbeitung einer Koffeinsynthese: Bei dem kriegsbedingten Mangel an Kaffee galt diese Arbeit als „kriegswichtig“. Dank seiner Erfahrungen mit Bausteinen von Nukleinsäuren, gelang es B. Koffein aus Harnsäure zu synthetisieren. Als Rohstoff dienten Schlangenexkremente aus den zoologischen Gärten, die an Harnsäure sehr reich sind. Dieser Erfolg brachte B. das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse.

Mitte April 1945 wurde die Stadt durch amerikanische Truppen besetzt und die Universität geschlossen. Ende Juni, wenige Tage vor der Übergabe von Sachsen und Thüringen an die sowjetische Besatzungsmacht, transportierten die Amerikaner B. und seine Familie, zusammen mit anderen Wissenschaftlern der Jenaer Universität, nach Württemberg, nämlich nach Heidenheim a. d. Brenz. Dort gelang es B. mit einigen Mitarbeitern eine chemische Firma aufzubauen, zuletzt mit 180-köpfiger Belegschaft und mit einer neuen Halle nördlich von Aalen. Das Unternehmen, das er bis 1949 leitete, produzierte bis 12 Tonnen Saccharin monatlich, ein damals sehr begehrter Süßstoff.

Zwar waren B.s wirtschaftliche Umstände nicht ungünstig, er wollte aber zu einer akademischen Tätigkeit zurückkehren. Anfang 1948 hatte er die Wahl zwischen Kiel, Aachen, Braunschweig und Stuttgart. „Überall waren nur Trümmer, <…> so dass ich die Trümmer wählte, die der bescheidenen Wohnung in Heidenheim mit zweieinhalb Zimmern am nächsten lagen“ – also Stuttgart, – erinnerte sich B. etwa fünfzehn Jahre später (UA Stuttgart, 4/192, undatiertes Interview B.). B. fand für sein Institut eine passende Ruine, das teilweise zerstörte Gebäude des Kultusministeriums, und vereinbarte mit dem damaligen Kultusminister Theodor Heuss (1884-1963), dass die TH dieses Gebäude für das Institut für Organische Chemie zehn Jahre lang verwenden darf. B. wurde Mitglied der Baukommission der TH und verstand es, in den damaligen schwierigen Verhältnissen seine Ziele zu erreichen. Nach zwei Jahren Bauarbeiten konnte das Institut B.s einziehen. Es war der erste Chemieneubau in der damaligen BRD. Nun begann es wieder mit Experimentalarbeiten, zunächst sehr langsam. Bisher hatte es sich nur um theoretischen Unterricht handeln können.

In Stuttgart las B. eine viersemestrige Vorlesung über Organische Chemie, die immer mit spektakulären lehrhaften Demonstrationen begleitet wurde. Zum vierten Teil wurden nur Studenten nach dem Vordiplom zugelassen. B. leitete auch persönlich Arbeiten im Praktikum für die Fortgeschrittenen. Außerdem organisierte B. jedes Semester eine honorarfreie Veranstaltung, „Organisch-chemische Tagesfragen“, insgesamt 14-16 Stunden, wo er mit Studenten aktuelle Neuheiten in der organischen Chemie besprach.

Ab 1950 begannen auch Forschungsarbeiten. Mit schwerem Herzen sah sich B. gezwungen, die Nukleinsäure-Forschung, „für die wir nicht unwichtige Grundlagen gelegt hatten“ (UA Stuttgart, 4/192, undatiertes Interview B.), nicht fortzusetzen: Denn inzwischen waren in England und in den USA entscheidende Fortschritte gemacht worden, die mit der Entdeckung der berühmten „doppelten Helix“ gekrönt waren. Es machte kein Sinn, zu dieser Entwicklung etwas Wesentliches nachzutragen zu versuchen.

Eine Kompensation fand B. u.a. in ausführlichen Untersuchungen in der Chemie von Purinen, die wichtige Bausteine der Nukleinsäuren sind. Arbeiten über die Purinen-Chemie bildeten nur dieerste von vielen Forschungsrichtungen des Instituts. Besonders fruchtbar erschienen Untersuchungen von Reaktionen des Formamids und anderer Säureamide, die insbesondere zu Synthesen von vielen heterozyklischen Verbindungen führten. Diese Arbeiten fanden ihren Niederschlag in der Reihe von über 50 Publikationen. Weitere wichtige Arbeitsgebiete waren Synthesen von heterozyklischen Verbindungen und Synthesen von Oligosacchariden. Ab 1953 begann auch die Erforschung von Polymerisationsreaktionen und besonders von Polymerisationskatalysatoren.

B. verstand es, begabte junge Leute zu interessanten Aufgaben heranzuziehen. Bereits 1954 arbeiteten im Institut etwa 40 Menschen, einschließlich Diplomanden und Doktoranden. Sehr geschickt verteilte B. Arbeiten unter Doktoranden, Diplomanden und eigenen Assistenten, so dass in jeder Forschungsrichtung Dutzende von Publikationen entstanden. Seit der Jenaer Zeit pflegte B. intensive Kontakte mit pharmakologischen und chemischen Firmen, und seine Schüler fanden problemlos Stellen in der Industrie. Mit den Firmen patentierte B. auch seine synthetischen Methoden, soweit sie für die Praxis wesentlich sein könnten. Viele seiner Patente beziehen sich auf Polymerisationsverfahren und Polymerisationskatalysatoren.

Innerhalb der TH organisierte B. eine vorbildliche Zusammenwirkung seines Instituts mit den beiden anderen chemischen Instituten – für Anorganische Chemie unter Josef Goubeau (s. dort) und für Physikalische Chemie unter Theodor Förster (s. dort), insbesondere durch ein regelmäßiges gemeinsames Chemisches Kolloquium.

Die ausgezeichneten organisatorischen Fähigkeiten B.s, die sich bereits in der Baukommission gezeigt hatten, konnten nicht unbemerkt bleiben: 1956 wurde B. zum Dekan und anschließend 1958 zum Rektor gewählt.

Der erfolgreiche und unternehmungsfreudige Rektor wurde 1960 wiedergewählt. In seinem Rektorenbericht nannte B. „eine stattliche Reihe fertiggestellter und im Bau befindlicher Institute“ (1961, 11). Er betonte: „Universitäten und Hochschulen, und damit Lehre und Forschung, waren lange Jahren Stiefkinder ihrer Zeit“ (ebd., 12). Seine Vision war: „Die Errichtung technischer und wissenschaftlicher Institute und damit die Möglichkeit naturwissenschaftlich-technischer Forschung bedeutet – man verzeihe mir die Pointierung – einen Beitrag für die notwendige Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft unseres Volkes und damit der Erhaltung der uns eigenen Lebensformen“ (ebd.). Mit solcher Einstellung engagierte sich B. weiter im Hochschulleben. 1961-1963 war er Prorektor und zugleich Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg. Außerdem wirkte er in der Westdeutschen Rektorenkonferenz und ab 1964 als Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats und Mitglied anderer Ausschüsse dieses Rats. Auch weiteren Gremien gehörte B. an, wie etwa den Gründungsausschüssen der Universitäten Konstanz und Ulm und der Medizinischen Hochschule Hannover, sowie dem Organisationsausschuss zur Erweiterung der Universität Mannheim und dem Kuratorium des Heidelberger Krebsforschungszentrums.

Anfang Oktober 1968 hielt B. in Heidelberg vor der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte den Vortrag „Die Zukunft unserer Universitäten“. Er sprach besonders dringende Probleme der Hochschulen an, die man zu lösen hatte: Die zunehmende Studentenzahl, die langen Studienzeiten und die große Zahl der Studienabbrecher. Seine Vorschläge, die dann viel diskutiert wurden, waren insbesondere, wie folgt: Erstens dürften nicht alle Abiturienten studieren, sondern nur diejenigen, die zusätzliche Aufnahmebedingungen erfüllen könnten. Zweitens sollte eine stetige Zusammenwirkung zwischen Hochschulen und der Wirtschaft gepflegt werden, um den sich immer weiter entwickelnden Bedürfnissen folgen zu können, wobei die „Bedarfsanalyse zu einer permanenten Einrichtung“ werden sollte (1968, Die Zukunft.., 370). Drittens, sollte eine „Auflockerung unserer bisherigen Ausbildungsgänge“ (ebd., 371) eingeführt werden, nämlich, die Möglichkeit, das Studium mit einem Bakkalaureat oder Diplom, nicht unbedingt mit einer Promotion abzuschließen.

Bald nach diesem Vortrag bot die Landesregierung B. ein neues Amt an – einen besonderen Posten als Staatssekretär für Hochschulfragen im Kultusministerium. Eine Stuttgarter Zeitung teilte dies („B. soll Staatssekretär werden“) als nahezu erledigte Sache mit (UA Stuttgart, 4/192). Trotzdem lehnte B. das ehrenvollen Angebot ab: Er habe schon viele andere Verpflichtungen. Er wollte auf keinen Fall sein Institut verlassen – sogar als Rektor fand er immer Zeit für Besprechungen der Forschungsaufgaben mit seinen Mitarbeitern.

Darüber hinaus war B. ein sehr aktives Mitglied der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Von 1948 bis 1952 war er Vorsitzender des Ortsverbands Nord-Württemberg der Gesellschaft, von 1951 bis 1953 und von 1966 bis 1973 gehörte er dem Vorstand an und 1968-1969 war er Präsident der Gesellschaft. Außerdem wirkte B. seit 1968 als Vorsitzender des Deutschen Zentralausschusses der Chemie, der als Dachorganisation von zwölf der Chemie verpflichteten Gesellschaften und Verbänden die deutschen Interessen in der IUPAC (Internationale Union of Pure and Applied Chemistry) vertrat.

Nach seiner Emeritierung sollte B. noch drei Semester lang als Vertreter seines Lehrstuhls wirken und auch danach blieb er mit seinem Institut verbunden. Die letzten Arbeiten aus seinem Institut, bei denen er sich noch beteiligte, wurden 1980 beendet und veröffentlicht. B. starb unerwartet drei Wochen vor seinem 77. Geburtstag.

Von mindestens 275 Publikationen und ca. 50 Patenten B.s gehört der größte Teil in den Bereich Experimentalarbeiten in verschiedensten Gebieten der organischen Chemie. Für zusammenfassende Aufsätze hatte er offensichtlich keine Zeit und keine Neigung. (Eine Ausnahme bildeten zwei Veröffentlichungen über Nukleinsäuren aus dem Jahr 1938). Ein bedeutender Teil des Lebenswerks B.s stellt sich nicht in den Publikationen, sondern in seiner organisatorischen Tätigkeit als Hochschulreformer dar. Er „hat maßgeblich die Entwicklung der deutschen Hochschullandschaft mitbestimmt“ (Anonym, 1981, 8).

Insgesamt bleibt B. eine bedeutende, obwohl nicht angemessen eingeschätzte Figur in der Entwicklungsgeschichte der Chemie und des Hochschulwesens in Deutschland.

Q UA Greifswald: Phil. Diss. II-321 (Promotionsakte B.); K 559 (Assistenten des Chemischen Instituts); K 5979 (Vorschläge zur Neubesetzung des Lehrstuhls für Organische Chemie, 1940); UA Leipzig: PA 347 (Personalakte B.); UA Stuttgart: 57/26 (Personalakte B.); 4/192 (Biographische Sammlung, B.); Auskünfte aus dem StadtA Frankfurt vom 16. u. 22.06.2017; StaatsA Leipzig vom 22.06.2017 u. UA Jena vom 30.06.2017.

W (mit B. Helferich) d-Glucose-6-chlorhydrin u. seine Derivate, in: Berichte d. Deutschen Chemischen Ges. 60, 1927, 1995-2001; Zur Konstitution d. Trehalose, ebd. 63, 1930, 959-965;

(mit B. Helferich) Über Emulsin, in: Zs. für physiologische Chemie 189, 1930, 273-279; Zur Acetylbestimmung nach Freudenberg, in: Angewandte Chemie 45, 1932, 241f.; Nucleinsäure: Ringstruktur d. Pyrimidin-nucleoside, in: Berichte d. Deutschen Chemischen Ges. 65, 1932, 1830-1833; Über isomere Dinitrophenyl-hydrazone ebd., 1833-1838; Zur Konstitution d. Hefe-Nucleinsäure, 1933; Nucleinsäuren. IV. Die Konstitution d. Pyrimidin-nucleotide, in: Zs. für physiologische Chemie 224, 1934, 79-85; Nucleinsäuren, in: Angewandte Chemie 47, 1934, 290-293; Ergebnisse d. Vitamin u. Hormonforschung (Chemie u. Technik d. Gegenwart, Bd. XV, 1. Teil), 1936; Nucleasen, in: Ergebnisse d. Enzymforschung 7, 1938, 105-117; Nucleinsäuren, in: Fortschritte d. Chemie organischer Naturstoffe 1, 1938, 121-158; (mit G. Caro) Zur Konstitution d. Thymonucleinsäure, in: Zs. für physiologische Chemie 253, 1938, 170.184; (mit E. Geyer) Über die Phosphoamidasen in Emulsin u. Trypsin, ebd. 254, 1938, 223-226; (mit G. Lehmann, E. Fritzsche u. Chr. Schönfeld) Berylliumchlorid in d. organischen Chemie, in: Angewandte Chemie 52, 1939, 445f.; (mit M. Köthnig u. Eva Berger) Über die d-Ribose (Darstellung einer kristallisierten Anhydroribose), in: Berichte d. Deutschen Chemischen Ges. 73, 1940, 956-962; (mit Ingeborg Jochmann) Über das Tetranucleotid d. Thymonucleinsäure (Nucleinsäuren, XX. Mitteil.) ebd. 75, 1942, 395- 400; (mit Eva Hoepfner) Über das Tetranucleotid d. Hefe- u. Thymonucleinsäure ebd., 1086-1095; (mit Annelise Martini) Über methylierte Nucleoside u. Purine u. ihre pharmakologischen Wirkungen I. Mitteil., in: Chemische Berichte 80, 1947, 401-405; (mit H. Haas u. A. Martini) Über methylierte Nucleoside u. Purine u. ihre pharmakologischen Wirkungen II. Mitteil., in: Chemische Berichte 81, 1948, 307-313;

(mit H.-G- v. Schuh u. A. Martini) Neue Synthesen von Xanthin, Coffein u. Theobromin, ebd. 83, 1950, 201-211; (mit G. Theilig) Imidazolsynthesen mit Formamid (Formamidreaktionen, I.), ebd. 86, 1953, 88-96; (mit I. Hennig u. W. Pfleiderer) Synthesen in der Purinreihe, II., ebd., 321-333;

(mit E. Bäder) Darstellung von α-Oxy- u. α-Aminosulfonen sowie von sulfinsauren Salzen organischer Basen (I. Mitteil. über Polymerisationen u. Polymerisationskatalysatoren), ebd. 87, 1954, 129-139; Das Institut für Organische Chemie u. Organisch-chemische Technologie, in: Die TH Stuttgart: Bericht zum 125jährigen Bestehen, 1954, 46-49; (mit R. Sieber u. L. Kamphenkel) Esterspaltungen mit Diazomethan, in: Angewandte Chemie 67, 1955, 347;

Zur Entwicklung d. Chemie d. Kohlenhydrate u. d. Glykosid-spaltenden Enzyme. Burckhardt Helferich zum 70. Geburtstag, in: Angewandte Chemie 69, 1957, 405-412; (mit R. Gompper, H. G. v. Schuh u. G. Theilig) Synthesen mit Säureamiden, insbesondere mit Formamid, in: Angewandte Chemie 71, 1959, 753-774; Entwicklungslinien d. Chemie in Vergangenheit u. Zukunft, Antrittsrede des neuen Rektors, am 2. Mai 1959, in: TH Stuttgart, Reden u. Aufsätze 26, 1959, 27-40; Bericht des abgehenden Rektors über die Studienjahre 1959/60 u. 1960/61, in: TH Stuttgart, Reden u. Aufsätze 27, 1961, 3-20; (mit F. Effenberger u. A. Hofmann) Säureamid-Reaktionen XXXVI. Thermische Zersetzung von Trisformaminomethan u. Bildung von s-Triazin, in: Chemische Berichte 96, 1963, 3260-3264; (mit F. Effenberger, A. Hoffmann u. M. Hajek) Synthesen von s-Triazin u. substituierten s-Triazinen, in: Angewandte Chemie 75, 1963, 825-830; (mit F. Effenberger u. H. G. Österlin) Synthesen in d. Purin-Reihe, XVIII. Purin-Synthesen mit 4-Amino-5-alkyl (aryl) amino-pyrimidinen, in: Chemische Berichte 100, 1967, 2280-2291;

(mit G. Sünchen u. a.) Säureamid-Reaktionen, L. Darstellung u. Eigenschaften d. Amidacetate u. Aminalester, ebd. 101, 1968, 41-50; Hochschulreform – Reform des Chemiestudiums, in: Schriftreihe „Chemie u. Fortschritt“ Heft 4, 1968, 25-45; Die Zukunft unserer Universitäten (Auszüge), in: Nachrichten aus Chemie u. Technik 16, 1968, 370f.; (mit P. Menzel, R. Argosino u. W. Bihlmaier), Polymerisationen u. Polymerisationsinitiatoren, 16: Einfluss von Thioxogruppen in Barbitursäurederivaten auf die Polymerisationsauslösung von Methacrylsäure-methylester, in: Makromolekulare Chemie 176, 1975, 1713-1723; (mit W. Katlehner u. a.) Orthoamide, 34: Synthesen mit Vinylidendiamin, in Liebigs Annalen für Chemie 1980, 372-388.

L Poggendorffs Biographisch-literarisches Handwörterbuch VIIa, Teil 1, 1956, 260f; VIII, Teil 1, 1999, 526-530; Anonym, Prof. Dr. H. B., Stuttgart, 60 Jahre, in: Deutsche Apotheker-Ztg. 104, 1964, 758f.; R. Kuhn, H. B. zum 60. Geburtstage, in: Nachrichten aus Chemie u. Technik 12, 1964, 218f.; Anonym, H. B., ebd. 14, 1966, 412 (B); Anonym H. B.+, in: Stuttgarter Uni-Kurier, Juni 1981, S. 8 (B); G. Wilke, W. Frische, H. B.+, in: Nachrichten aus Chemie, Technik u. Laboratorium 29, 1981, 396f.; K. Bredereck, F. Effenberger, Ein hervorragender Wissenschaftler, Pädagoge u. profilierter Reformer – H. B., in: Die Universität Stuttgart nach 1945, 2004, 190-193 (B); Uwe Hoßfeld u.a. (Hg.) “Im Dienst an Volk u. Vaterland“. Die Jenaer Universität in d. NS-Zeit, 2005, 100.

B Foto (ca.1954), UA Stuttgart, Bildersammlung, H. B. (S.█). – weitere Fotos, ca. 1964 u. ca. 1969 ebd.; Nachrichten aus Chemie, Technik u. Laboratorium 27, 1979, 212; (vgl. L); www.chemgeo.uni-jena.de/chegemedia/.../14_2+Hellmut+Bredereck.pdf (Foto aus dem UA Jena.

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