Vogel Otto Friedrich, Humangenetiker
*6.03.1925 Berlin. Ev. +5.08.2006 Heidelberg
V Reinhard V. (1890-1944), Bankbeamter
M Ingeborg V., geb. Wahrenholz (1904-1990)
G 2.
∞ 1951 (Hamburg?) Adelheid Kurth (1927-2003), Apothekerin
K 4: Sebastian Friedrich Reinhard Erich (*1955), Christiane Hedwig Ingeborg (*1957), Rudiger Ulrich (*1962), Tilman Klaus (*1963)
1931 X – 1943 II Schulbildung in Berlin-Charlottenburg: 1931-1935 die städtische Volksschule, 1935-1943 das Staatliche Kaiserin Augusta Gymnasium. Reifeprüfung mit „Gut“ im Februar 1943
1943 V -1945 V Arbeitsdienst bis August 1943, anschließend Militärdienst
1945 V – VIII Russische Kriegsgefangenschaft
1946 IV – 1952 VI Studium Medizin: SS1946-WS 1947/48 an d. Humboldt-Univ. Berlin; nach dem Physikum dort vom WS 1949/50 bis WS 1951/52 an d. Freien Universität West-Berlin.
1951 XI – 1953 I Pflichtassistent am Städtischen Augusta-Viktoria-Krankenhaus in Berlin-Schöneberg
1952 VI 23 Promotion cum laude zum Dr. med. an d. Freien Universität; Diss.: „Über psychische Faktoren bei Ekzemen u. verwandten Zuständen, soweit sie d. Diagnostik des praktischen Hautarztes zugänglich sind“
1953 II – 1962 IX Arbeit am Max-Planck- Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie, Berlin-Dahlem: vom Juni 1953 bis Mai 1956 als Stipendiat d. Deutschen Forschungsgemeinschaft, ab Juni 1956 als Wissenschaftlicher Assistent.
1956 X Habilitation an d. Freien Universität mit d. Schrift „Über die Erblichkeit des normalen Elektroenzephalogramms: Vergleichende Untersuchung an ein- und zweieiligen Zwillingen“; Antrittsvorlesung „Modellvorstellungen zur spontanen Mutabilität beim Menschen“ am 18. Januar 1957
1962 X – 1993 III o. Prof. u. Direktor des Instituts für Anthropologie u. Humangenetik an d. Univ. Heidelberg; 1993 SS- WS 1993/94 Vertreter seines Lehrstuhls
1987 IX – 1991 VII Dekan d. Medizinischen Gesamtfakultät u. d. Fakultät f. Theoretische Medizin
Ehrungen: Hans-Berger-Preis d. Dt. Elektroenzephalographie-Gesellschaft (1966); Mitglied d. Dt. Akademie d. Naturforscher Leopoldina, Halle (1973); Bundesverdienstkreuz I. Kl. (1985); Dr. med. h. c. d. Freien Universität Berlin (1988); Mitglied d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften (1989); Jakob-Henle-Medaille d. Med. Fakultät d. Univ. Göttingen (1995); Ehrenmedaille d. Dt. Gesellschaft für Humangenetik (2003).
V. wurde als erstes Kind eines Bankbeamten in Berlin-Lichterfelde geboren. Er besuchte zunächst eine Volksschule, dann das Staatliche Kaiserin Augusta Gymnasium in Berlin-Charlottenburg. Sofort nach seinem Abitur im Februar 1943 wurde der nun 18-jährige zunächst zum dreimonatigen Arbeitsdienst, dann ohne Unterbrechung zum Militär, in die Infanterie, einberufen. Das Kriegsende erlebte er in der Tschechoslowakei; wobei er in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Glücklicherweise wurde er Ende August 1945 mit etwa 2000 anderen Kriegsgefangenen mit einem sog. Dystrophiker-Zug aus dem Kaukasus nach Sachsen abtransportiert und entlassen. Es gelang ihm, nach Berlin zu seiner Mutter zurückzukehren. Sein Vater war Anfang 1944 an der Ostfront gefallen.
Dank der Unterstützung seiner Mutter begann V. an der Humboldt-Universität zu studieren. Seinen ursprünglichen Wunsch, Ethnologe zu werden, erlaubte er sich nicht zu erfüllen: Unter den damaligen Umständen erschien ihm die Medizin als der einzige zuverlässige Beruf, denn „Ärzte werden immer gebraucht und außerdem bietet das Medizinstudium eine breite Grundlage für die Entwicklung in verschiedene Richtungen“ (1990, Antrittsrede, 26). Nach vier Semestern bestand V. das Physikum. Er wechselte nun nach West-Berlin, wo im Dezember 1948 die Freie Universität Berlin als „Fluchtburg“ gegenüber der kommunistischen Bedrohung gegründet worden war. V. gehörte zu den Gründungsstudenten der neuen Universität. Hier legte er Anfang 1951 sein medizinisches Staatsexamen mit „sehr gut“ ab und erhielt im Mai 1951 durch den Senator für Gesundheitswesen die Bestallung als Arzt. Anschließend hatte er seine Pflichtassistenz zu absolvieren. Vom 1. November 1951 bis 31. Januar 1953 arbeitete er am Städtischen Augusta-Viktoria-Krankenhaus in Berlin-Schöneberg in mehreren Abteilungen, den pathologischen, gynäkologisch-geburtshilflichen, dermatologischen, chirurgischen und des Inneren. Dies waren seine einzigen klinischen Erfahrungen, danach widmete er sich ausschließlich der Forschungsarbeit. Bereits während seiner Arbeit im Krankenhaus verfasste V., unter Anleitung des Dermatologen Professor Erich Langer (1891-1957) eine Dissertation auf dem Gebiet der Psychosomatischen Medizin.
Nach der Promotion im Juni 1952 und Absolvierung der Pflichtassistentenzeit stand V. vor der Wahl seiner eigenen Forschungsrichtung. Seine Wahl, Humangenetik, war, wie er später formulierte, „eine bewusst ‚antizyklische‘ Entscheidung“ (1990, Antrittsrede, 26). Denn nach der unmenschlichen rassenhygienischen Praktik des Dritten Reichs „war es nicht verwunderlich, dass man nach dem Krieg zunächst das Kind mit dem Bad ausschüttete und überhaupt nichts mehr von einer Genetik des Menschen wissen wollte“ (1980, Hans Nachtsheim, 28).
V. hatte Glück, einen Lehrer in Person des klassischen Genetikers Professor Hans Nachtsheim (1890-1979) zu finden. Nachtsheim verließ die Humboldt-Universität aufgrund von Kontroversen mit den neuen Machthabern der DDR und kam 1949 an die Freie Universität auf den Lehrstuhl für Allgemeine Biologie. Gleichzeitig leitete er in West-Berlin das Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie, das 1953 der Max-Planck-Gesellschaft angegliedert wurde. . Kaum hatte V. seine Pflichtassistentenzeit beendet, erschien er bei Nachtsheim und bat um Erlaubnis, in seinem Institut auf dem Gebiet der Humangenetik arbeiten zu dürfen. Obwohl durch diesen Wunsch überrascht, nahm Nachtsheim V. großzügig in sein Institut auf. Bald schlug er ihm vor, dem Problem der Mutationsraten menschlicher Gene zuzuwenden und beantragte für V. ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er ließ V. viel Freiheit und Selbständigkeit, denn alle im kleinen Institut, außer V., führten genetische Untersuchungen an Tieren und an Mikroorganismen durch. Unter Nachtsheim erhielt V. „eine solide Grundlage in klassischer Genetik; als Humangenetiker bin ich wesentlich Autodidakt“, sagte er später (1990, Antrittsrede, 26). Nach wenigen Monaten erhielt V. ein Stipendium für drei Jahre, anschließend wurde er planmäßiger Wissenschaftlicher Assistent des Instituts.
Sehr früh begriff V. die Notwendigkeit guter mathematischer Kenntnisse, um genetische Informationen statistisch bearbeiten zu können. Er nahm dafür Privatstunden und meisterte so die mathematisch-statistische Arbeit, was auch später seine besondere Stärke bildete. Jetzt begann er eigene Forschungen. Als erstes Modell für seine Mutationsuntersuchungen wählte V. das Retinoblastom, den bösartigen Augentumor bei kleinen Kindern. Er konnte als erster die Unterscheidung zwischen erblichen und sporadischen Formen des Tumors feststellen.
Neben Arbeiten über das Mutationsproblem wandte sich V. einem anderen neuen Gebiet zu, das er mehrere Jahrzehnte lang bearbeitete: Die genetischen Grundlagen der Hirnstromaktivitäten des Menschen, die durch Elektroenzephalographie (EEG) studiert werden können. An mehreren hundert ein- und zweieiigen Zwillingen fand V., dass das EEG-Muster große Unterschiede zwischen Menschen zeigt, aber bei gesunden eineiigen Zwillingen praktisch identisch ist. Dies bedeutete, dass die Unterschiede normalerweise genetisch determiniert sind.
Im August 1956 stellte V. diese Ergebnisse dem Ersten Internationalen Kongress für Humangenetik in Kopenhagen vor. Der Kongress mit 540 Teilnehmern aus 30 Ländern wurde eine Zäsur für den beruflichen Weg V.s. Nun begann seine internationale Anerkennung. Er konnte wichtige Kontakte mit ausländischen Kollegen aufnehmen, so mit dem bedeutenden Humangenetiker James Neel (1915-2000), in dessen Institut in Ann Arbor man auch Retinoblastome erforschte. Von besonderer Bedeutung war, dass V. den amerikanischen Mediziner und Genetiker Arno Motulsky (*1923) kennenlernte, einen deutschen Juden, der aus dem Dritten Reich in die USA emigriert war. So entstand eine fruchtbare professionelle und menschliche Beziehung, die erst mit dem Tod V.s endete. Als außerordentlich wichtig zeigte sich auch die Bekanntschaft mit dem Heidelberger Ophtalmologen Wolfgang Jaeger (1917-1995), der sich mit genetisch bedingten Augenkrankheiten befasste. Nach dem Kongress half Jaeger V. wesentlich „beim Gewinnen des Krankengutes“ für die Erweiterung der Untersuchungen über Retinoblastome (1957, Neue Untersuchungen.., 205). Später war es Jaegers Vorschlag, V. nach Heidelberg zu berufen. Und es war V., der einen Nachruf auf Jaeger schrieb und ein Bändchen zum Gedenken an Jaeger herausgab.
Seine Arbeit über EEG von Zwillingen legte V. als Habilitationsschrift der Medizinischen Fakultät der Freien Universität vor. Er wurde Privatdozent, blieb aber am Max-Planck-Institut.
Nach seiner Habilitation erhielt V. die Möglichkeit, einige Monate in den USA bei James Neel in dessen Institut an der University of Michigan in Ann Arbor zu verbringen. Dieser Aufenthalt brachte V. sehr nützliche Erkenntnisse über die Organisation und Einrichtung eines großen Instituts, von den wissenschaftlichen Kontakten und Diskussionen ganz zu schweigen.
Bald nach seiner Rückkehr aus den USA erhielt V. von Dr. Heinz Götze (1912-2001), eine der leitenden Persönlichkeiten des Berliner wissenschaftlichen Springer-Verlags, den Vorschlag, ein Lehrbuch über Humangenetik vorzubereiten. V. bearbeitete das Thema gründlich, drei Jahre lang, das Ergebnis, das Hans Nachtsheim gewidmete „Lehrbuch der allgemeinen Humangenetik“, erschien 1961 und brachte dem Verfasser viel Anerkennung nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland. Unter anderem wurde hier der Begriff „Pharmakogenetik“ eingeführt (1961, Lehrbuch, 426), der seitdem weltweit von Fachleuten übernommen wurde.
Enge Kontakte mit dem Springer-Verlag pflegte V. mehrere Jahrzehnte. Insbesondere machte das möglich, zusammen mit A. Motulsky, 1964 eine neue internationale Zeitschrift, „Humangenetik“ zu gründen. Diese Zeitschrift, seit 1976 „Human Genetics“, sollte die nicht zeitgemäß gewordene, auch durch Springer verlegte „Zeitschrift. für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre“ ersetzen. V. war als Mitherausgeber seiner geliebten Neuschöpfung bis Mitte der 1990er Jahren tätig.
Inzwischen veranlassten Fortschritte in der Humangenetik im Ausland, besonders in den USA, dass der Wissenschaftsrat 1960 die Gründung je eines humangenetischen Lehrstuhls sowie eines Instituts an jeder medizinischen Fakultät empfahl. 1961 war es für die Universität Heidelberg soweit, und V. wurde als erster Kandidat für den zu gründenden Lehrstuhl benannt. Die Berufungskommission betonte insbesondere die Bedeutung des „Lehrbuchs“ V.s. Der Vorschlag enthielt auch die Formulierung: „In seinen menschlichen Eigenschaften wird Herr V. allseitig durchaus positiv, als lauterer Charakter und zuverlässigen Wesens betrachtet“ (UA Heidelberg, PA 1066). V. kam nach Heidelberg zum Wintersemester 1962/63 und wirkte dort mehr als vier Jahrzehnte. Einen Ruf auf den Lehrstuhl für Humangenetik an der Freien Universität Berlin lehnte er 1965 ab.
V. besaß enorme Energie, blitzschnelles Auffassungsvermögen und ein mächtiges Gedächtnis, das geradezu als sagenhaft galt. So konnte er sehr vielseitige Tätigkeiten entwickeln.
Als Vertreter des neuen Fachs stellte V. die Humangenetik der gesamten Universität öffentlich vor im Sommersemester 1963 im Rahmen des Studiums Generale mit dem Thema „Biologische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Menschen“. Für die Medizinstudenten las er „Einführung in die Erbbiologie des Menschen“ und „Klinische Genetik“.
Seine Hauptaufgabe war der Aufbau des neuen Instituts für Forschungen auf dem Gebiet der Humangenetik. Schon lange plädierte er: „Die Genetik des Menschen ist nicht mehr nur angewandte Genetik. Mehr und mehr erweist sich der Mensch als geeignetes Objekt auch für die Bearbeitung von Grundlagenproblemen“ (1959, Moderne Anschauungen, 1833). In diesem Sinn wollte er sein Institut entwickeln.
Die Anfänge waren bescheiden, V. hatte noch keine Mitarbeiter und die Räume des Instituts waren auf verschiedene Gebäude verteilt. Ab 1964 fand V. die ersten Assistenten. Die Entwicklung des Instituts unter V. verlief sehr intensiv und in verschiedenen Richtungen: Organisation einer tierexperimentellen Arbeitsgruppe, Einrichtung eines zytogenetischen Laboratoriums, Anordnung der Forschung über chemische Mutagenese. V. hatte auch die Beratung von Kliniken in humangenetischen Fragen zu organisieren. Diese Aufgabe war für ihn nicht leicht, da er über nur wenige klinische Erfahrungen verfügte. Ihm gelang es aber bereits Anfang 1964, den Kinderkliniker Walter Fuhrmann (1924-1995) zu gewinnen. Zu zweit verfassen sie ein grundlegendes Buch „Genetische Familienberatung.“, das seit 1968 drei deutsche Ausgaben erlebte und in sieben Sprachen übersetzt wurde. Mit dem Umzug ins Neuenheimer Feld im Frühjahr 1974 konnte der Raummangel aufgehoben werden. Um diese Zeit zählte das Institut 10 wissenschaftlicher Mitarbeiter, darunter auch einen Mathematiker; 1980 wuchs ihre Zahl auf 17.
Als Chef hatte V. das Vorbild in seinem Lehrer Nachtsheim. Er war immer bereit, Probleme zu diskutieren, im Übrigen räumte er seinen Mitarbeitern viel Selbständigkeit ein. Dass neun von ihnen selbst Professoren wurden, beweist auch V.s Fähigkeit, begabte Wissenschaftler für die Mitarbeit zu gewinnen.
Das Institut galt als eines der bedeutendsten in Deutschland. Insbesondere war es damals das einzige Institut in Deutschland, das über die automatische Apparatur zur Bearbeitung von EEG verfügte. Es diente auch als Basis für die Einrichtung des Sonderforschungsbereichs “Klinische Genetik” in Heidelberg für ganz Deutschland. Das Institut nahm viele auswärtige Gäste auf. Hier konnten für Monate oder gar Jahre Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten, so aus den USA, Japan, Südamerika, China und Indien. Kein Wunder, dass das Heidelberger Institut weltweit anerkannt wurde, umso mehr als V. selbst immer international, ja kosmopolitisch eingestellt war und intensive ausländische Kontakte pflegte. Mit Vorträgen bei verschiedenen Tagungen, Symposien und Kongressen trat V. z. B. in Stockholm, Budapest, Brünn, London, Kopenhagen, Tokio auf. Zwei Monate lang, im März-April 1968 arbeitete er in Thailand, im August-September 1969 in Indien. In Indien war er wieder – im Januar- Februar 1971 als Gastprofessor in Delhi.
Ein Höhepunkt seiner internationalen Beziehungen, aber auch seiner organisatorischen Tätigkeit war die Ausrichtung 1986 des 7. Internationalen Kongresses für Humangenetik in West-Berlin, mit A. Motulsky als Präsident. Es war die erste große Versammlung auf dem Gebiet der Genetik in Deutschland seit 1927, und sie wurde nur dank V.s internationaler Kontakte möglich. Der Kongress war V.s Erfolg auch in dem Sinn, dass eine überraschend viele Humangenetiker aus dem „Ostblock“ Teilnehmer waren. Denn V. strebte bewusst danach, die Trennung von Ost und West auf dem Gebiet der Wissenschaft zu überwinden. Nach dem Fall der Berliner Mauer war es V., der sich maßgebend um Entwicklung der Humangenetik in den neuen Bundesländern kümmerte.
Mit Bedauern verließ V. seinen Posten, als er die gesetzlich vorgegebene Altersgrenze erreichte. Noch zwei Semester lang vertrat er seinen Lehrstuhl und am 1. Juli 1994 hielt er seine Abschiedsvorlesung über den Fortschritt der humangenetischen Methoden im Laufe von 40 Jahren, dargestellt an der genetischen Analyse des menschlichen EEG.
Nach seiner Emeritierung war V. noch mehrere Jahre literarisch aktiv. Als seine treue Frau 2003 starb, verließ V. sein Haus und bezog das Heidelberger Altersheim Augustinum. Er starb dort mit 81 Jahren.
Von V. stammen mindestens 330 Publikationen (ein vollständiges Werkverzeichnis fehlt). Die unter W gezeigte Auswahl beweist, dass V. sein Fach von allen Seiten bearbeitete und entwickelte, er lieferte Beiträge zu fast jedem Gebiet der Humangenetik. „F. V. war ein großer Anreger, der aufgetretene Wissenschaftspfade mied und immer wieder Neuland erschloss“ (Bartram, Propping, 2006, 395). Folgende drei allgemeine Themenkreise dominierten in V.s Werk: 1) Die spontane und induzierte Mutagenese beim Menschen, insbesondere die Mutationen, verursachten durch chemische Einflüsse; 2) Die Erkennung von genetischen Faktoren bei der Immunantwort gegen Krankheitserreger und von Veränderung der genetischen Zusammensetzung menschlicher Bevölkerungen mit dem Erscheinen neuer Krankheitserreger; 3) Die psychiatrische und Verhaltensgenetik.
Von einzelnen thematischen Fragestellungen sind vor Allem die grundlegenden Arbeiten über die Genetik des menschlichen EEG zu nennen. Dieses Gebiet fasste er in seinem letzten Buch im Jahr 2000 zusammen. V. verfasste Übersichtsaufsätze oft, um seine eigenen Ergebnisse im breiteren Kontext zu betrachten. Unter seinen zahlreichen Büchern ist besonders das Werk „Human Genetics – Problems and Approaches“ hervorzuheben, das gemeinsam mit A. Motulsky verfasst wurde – dafür verbrachte V. sein Sabbatjahr 1976-77 bei Motulsky in den USA – und das als international angesehenes Standardwerk seit 1979 vier Auflagen erlebte, zuletzt 2010. „Es gibt wohl kaum ein Fachbuch, das sich so vielfällig nutzen lässt, als Lehrbuch, Nachschlagewerk, Arbeitsanleitung, Forschungsstimulans, und sogar als spannende Freizeitlektüre“ (Flatz, 1990, 61).
Als Hauptergebnis seines Wirkens gilt aber die Wiederbelebung der Humangenetik in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1953, als V. anfing, gab es in Deutschland weniger als ein Dutzend Mediziner, die als Humangenetiker betrachtet werden konnten. 2003, 50 Jahre später, grüßten über 1000 Teilnehmer der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik V. und Motulsky als erste Träger der Ehrenmedaillen der Gesellschaft, die ihnen anlässlich dieser Versammlung verliehen wurden.
Für die Geschichte der Wissenschaft bleibt V. als ein führender Humangenetiker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und als die Schlüsselfigur in der Neuentwicklung der Humangenetik in der Bundesrepublik Deutschland.
Q UA d. Freien Univ. Berlin: Med. Fak./Humanmedizin/Promotion/Akte F. V., Sign. 182; Med. Fak./Personal/F. V (Personalakte V)..; Professurakte/Med. Fak./Sign. 5703/ 1-25, F. V.; UA Heidelberg: PA 9285, PA 1066, Personalakten V.; Rep 27/1902, Akademische Quästur V.; B II (Q99), Med. Fak., Lehrstuhl für Anthropologie u. Humangenetik; Auskünfte aus dem: StadtA Heidelberg vom 23.09., UA d. Freien Univ. Berlin vom 28. u. 29.09., A d. Max-Planck-Ges. vom 7.10.2016.
W (Auswahl) Über psychische Faktoren bei Ekzemen und verwandten Zuständen, soweit sie d. Diagnostik des praktischen Hausarztes zugänglich sind, in: Zs. für Haut- u. Geschlechts-Krankheiten 14, 1953, 308-314; Können „psychische Faktoren“ bei Krankheiten zu echt kausaler Wirkung kommen? Ebd. 16, 1954, 78f.; The mutation rate of the Rh-loci – a critical review, in; American Journal of Human Genetics 6, 1954, 279-283; Über Genetik u. Mutationsrate des Retinoblastoms (Glioma retinae), in: Zs. für menschliche Vererbungs- u. Konstitutionslehre 32, 1954, 308-338; Vergleichende Betrachtungen über die Mutationsrate d. geschlechtsgebunden-rezessiven Hämophilieformen in d. Schweiz u. in Dänemark, in: Blut, 1, 1955, 91-109; Neue Ergebnisse d. Hämophilie-Forschung, ebd., 214-222; (mit G. G. Wendt) Hirnstrombild u. Konstitution bei gesunden Jugendlichen, in: Archiv für Psychiatrie u. Nervenkrankheiten 195, 1956, 299-311; Über die Prüfung von Modellvorstellungen zur spontanen Mutabilität an menschlichem Material, in: Zs. für menschliche Vererbungs- u. Konstitutions-Lehre 33, 1956, 470-491; Elektroencephalographische Untersuchungen an gesunden Zwillingen, in: Acta genetica 7, 1957, 334-337; Die eugenische Beratung beim Retinoblastom (Glioma retinae), ebd. 565-572; Neue Untersuchungen zur Genetik des Retinoblastoms (Glioma retinae), in: Zs. für menschliche Vererbungs- u. Konstitutionslehre 34, 1957, 205-236; Eine Tafel für den Vergleich zweier kleiner Häufigkeitsziffern bei seltenen Ereignissen, in: Acta genetica 9, 1957, 314-319; Moderne Probleme d. Humangenetik, in: Ergebnisse d. inneren Medizin u. Kinderheilkunde N.F. 12, 1959. 52-125; Moderne Anschauungen über Aufbau u. Wirkung d. Gene, in: Deutsche medizinische Wochenschrift 84, 1959, 1825-1833; (mit W. Götze) Familienuntersuchungen zur Genetik des normalen Elekroenzephalogramms, in: Deutsche Zs für Nervenheilkunde 178, 1959, 668-700;
Der moderne Genbegriff in d. Humangenetik, in: Naturwissenschaften 48, 1961, 289-298;
Lehrbuch d. allgemeinen Humangenetik, 1961: (mit W. Götze) Statistische Betrachtungen über die β-Wellen im EKG des Menschen, in: Deutsche Zs für Nervenheilkunde 184, 1962, 112-136; Untersuchungen zur Genetik d. β-Wellen im EEG des Menschen, ebd., 137-173; Genetische Aspekte des Elektroenzephalogramms, in: Deutsche medizinische Wochenschrift 88, 1963, 1748-1759; A preliminary Estimate of the Number of Human Genes, in: Nature 201, 1964, 847;
Über Sinn u. Grenzen praktischer Eugenik, in: Ruperto Carola 35, 1964, 237-243; Neuere Untersuchungen zur Populationsgenetik d. AB0-Blutgruppen, in: Bericht über die 8. Tagung d. Deutschen Ges. für Anthropologie, 1965, 143-161; Sind die Mutationsraten für die X-chromosomal recessiven Hämophilieformen in Keimzellen von Frauen niedriger als in Keimzellen von Männern? In: Humangenetik 1, 1965, 253-263; (mit G. Röhrborn) Mutationsvorgänge bei d. Entstehung von Hämoglobinvarianten, ebd., 635-650; Befunde beim Menschen zum Problem d. genetischen Schädigung durch ionisierende Strahlen, in: Strahlenschutz in Forschung u. Praxis 5, 1965, 41-44; Zur genetischen Grundlage fronto-präzentraler β-Wellen-Gruppen im EEG des Menschen, in: Humangenetik 2, 1966, 227-237; Zur genetischen Grundlage occipitaler langsamer β-Wellen im EEG des Menschen, ebd., 238-245; (mit W. Fuhrmann) Genetische Familienberatung. Ein Leitfaden für Studenten u. Ärzte, 1968, 21975, 31982; Ist mit einer Manipulierbarkeit auf dem Gebiet d. Humangenetik zu rechnen? Können u. dürfen wir Menschen züchten? in: Hippokrates 38, 1967, 640-650, auch in: Zs. für Evangelische Ethik 12, 1968, 157-174; (mit G. Röhrborn, E. Schleiermacher u. T. M. Schröder) Mutationen durch chemische Wirkung bei Säuger u. Mensch, in: Deutsche medizinische Wochenschrift 92, 1967, 2249-2254, 2315-2321, 2343-2350, 2382-2389;
(mit J. Krüger, Y. K. Song u. G. Flatz) AB0 Blood Groups, Leprosy, and Serum Proteins, in: Humangenetik 7, 1969, 149-162; (mit G. Röhrborn, E. Schleiermacher u. T. Schröder) Strahlengenetik d. Säuger insbesondere d. Maus in ihrer Bedeutung für das Mutationsproblem beim Menschen, 1969; The Genetic Basis of the Normal Human Electroencephalogram (EEG), in: Humangenetik 10, 1970, 91-114; Hg. (mit G. Röhrborn) u. Mitverfasser: Chemical Mutagenesis in Mammals and Man, 1970; (mit G. Röhrborn u.E. Schleiermacher) Chemisch-induzierte Mutationen bei Säuger u. Mensch, in: Naturwissenschaften 58, 1971, 131-141;
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