Schneider, Carl Julius Paul, Psychiater
*19.12.1891 Gembitz, Posen (heute Gebice, Polen), ev., +11.12.1946 Frankfurt/M
V Paul S. (1864-1938 oder 1939), ehemaliger Pastor, Privatschulrektor. M Marie Elisabeth, geb. Krüger (1869-?). G keine.
∞ 28.08.1920 Leipzig Marianne Wiesner (1895-1958), Dr. med.
K 6: Wolfgang (*1921), Jost (1924- in Russland vermisst), Klaus (*1928), Maria (*1932), Hansjörg (*1935), Gerd (*1938).
1904 IV - 1911 III Besuch des Progymnasiums (1904-1905) u. d. Fürstenschule zu Grimma. Abitur Ostern 1911
1911 V - IX Militärdienst beim 9. Bayerischen Infanterie-Regiment in Würzburg
1911 X - 1914 VII Studium d. Medizin an d. Univ. Leipzig
1914 VIII -1918 XI Militärdienst als Feldunterarzt
1919 XI 11 Promotion zum Dr. med. an d. Univ. Leipzig bei dem Neurologen u. Psychiater Paul Flechsig (1847-1929); Diss. "Über Zoanthropie"
1920 I - 1922 XI Assistent an d. Neurologisch-psychiatrischen Klinik ebd.
1922 XII -1930 X Hilfsarzt, ab 1924 Regierungsmedizinalrat im sächsischen Anstaltsdienst, Arnsdorf bei Dresden
1930 IX - 1933 X Chefarzt an d. Bodelschwingh?schen Anstalt in Bethel
1932 V 1 Beitritt zur NSDAP, Nr. 1112586
1933 XI ? 1945 IV o. Prof. u. Direktor d. Psychiatrisch-Neurologischen Klinik an d. Univ. Heidelberg
1934 V - 1937 III Dekan d. Med. Fak.
1936 XI Leiter des Amts für Rassenpolitik beim Gau Baden
1940 VII Gutachter bei d. "T-4 [Euthanasie]-Aktion"
Die Person S. vereint in sich den bedeutenden Wissenschaftler und Arzt einerseits und den glühenden Nazi andererseits, der in die Vernichtung von "Lebensunwerten! sich einbinden ließ.
S. war das einzige Kind einer nicht von Glück gezeichneten Familie: Sein Vater verließ die Familie, bevor sein Sohn eingeschult worden war, emigrierte nach Amerika, war dort Prediger und Wandermusiker und kehrte Ende der 20er Jahre mittellos zurück. S. brachte seinen Vater in einem Altersheim zu Bremen unter, wo er kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs starb. S.s Mutter zog mit dem fünfjährigen Sohn zu Verwandten nach Pegau bei Leipzig und verdiente ihren Lebensunterhalt mit einem kleinen Ladengeschäft. Laut einer Mitteilung des ältesten Sohns S.s, erweckten diese ärmlichen Verhältnisse im Knaben S. das Streben, eine höhere soziale Position zu gewinnen. Bereits als Schulkind habe er "schon geplant, einmal Professor zu werden" (Teller, 465)
S. besuchte zunächst die Volksschule in Pegau. Dank seiner ausgezeichneten Schulleistungen wurde er als Stipendiat im Internat der Fürstenschule in Grimma angenommen. Diese alte, seit 1550 bestehende Anstalt war mit einer Anzahl von Freistellen ausgestattet, so dass begabte Jungen dort nicht nur aus wohlhabenden Familien, sondern auch aus mittellosen sächsischen bürgerlichen Familien gemeinsam erzogen werden konnten. Die Aufnahmeprüfung bestand S. als sechster von 30 Knaben. Eine Freistelle erhielt er erst ab zweitem Schuljahr.
Die harte Kloster-Lebensweise des alten Alumnats existierte zwar nicht mehr, aber auch Anfang des 20. Jahrhunderts blieben die Verhältnisse für insgesamt 144 Zöglingen sehr streng und durch Abgeschlossenheit von der Außenwelt gekennzeichnet. Diese Umstände prägten wohl S.s spätere Selbstdisziplin und seine Ausdauer bei der Arbeit. Nach seinen Leistungen gehörte S. zuletzt in die vordere Hälfte der Schüler; seine Gesamtnote beim Abschluss war IIa.
Nach dem Abitur verbrachte S. das Sommersemester in Würzburg, wo er seine Militärpflicht im dortigen Infanterie-Regiment leistete.
Ab Wintersemester 1911/12 studierte S. Medizin an der Universität Leipzig bis zum Kriegsbeginn, nach bestandenem Physikum..
Er meldete sich freiwillig am 5. Mobilmachungstag für den Wehrdienst an, war kurze Zeit im Reservelazarett Leipzig tätig, trat dann als Feldunterarzt beim 245. Infanterie-Regiment ein, mit dem er im Oktober 1914 ins Feld rückte. Im Mai 1915 vor Ypern wurde S. verwundet (Oberschenkelschussbruch). Im Sommer 1916 wurde er nach schwerer Gesichtsneuralgie zum Reserve-Feldlazarett 112 versetzt. Mit diesem war S. als Feldhilfsarzt in Ostgalizien, ab Januar 1917 in Frankreich tätig. Ende 1918 kehrte S. an die Universität Leipzig zurück, um sein Studium zu beenden. Bei dem bekannten Hirnforscher Paul Flechsig (1847-1929) schrieb er seine Doktorarbeit "Über Zoanthropie", (d.h. über eine Art von Manie, bei der ein Mensch sich als ein Tier fühlt).
Nach der Promotion blieb S. als Assistenzarzt an der Psychiatrischen und Nervenklinik bis zum Ende des Wintersemesters 1920/21 unter Flechsig, ab Sommersemester 1921 unter dessen Nachfolger Oswald Bumke (1877-1950). In Leipzig heiratete S. die Ärztin, Dr. med. Marianne Wiesner. Bumke wurde Taufpate für S.s ersten Sohn. Bei der Herausgabe der Monographie Bumkes "Kultur und Entartung" (1922) halfen ihn S. und dessen Ehefrau, indem sie "literarische Verbesserung" des Textes und die Durchsicht der Korrekturen vornahmen; Bumke bedankte sich bei ihnen im Vorwort.
Trotz der offensichtlich guten Beziehungen mit dem Chef, wechselte der junge Familienvater Ende 1922 seine Stelle zugunsten des finanziell besseren Postens eines Anstaltsarztes im sächsischen Ärztedienst, nämlich in Arnsdorf bei Dresden. 1924 wurde S., durch seine Ernennung zum Medizinalrat Beamter.1925 bestand S. die Bezirksarztprüfung. Bald konnte er als Praktikant während eines Jahres, vom Februar 1926 bis Februar 1927, an der Forschungsanstalt für Psychiatrie in München arbeiten; er beschäftigte sich dort nicht nur mit klinischen sondern auch mit pathologischen und histologischen Studien über das Nervensystem.
In die Zeit in Arnsdorf fallen etwa zwanzig wissenschaftliche Aufsätze S.s, die hauptsächlich der Schizophrenie gewidmet sind. Diese Arbeiten, die in einer Monographie (1930) zusammenfasst wurden, enthalten wertvolle Beobachtungen über die Besonderheiten im Denken und Erleben der Schizophrenen. Nach S. seien sie Einschlaferlebnissen von Gesunden ähnlich. Hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten war S. noch von Resignation geprägt - wie die gesamte damalige Psychiatrie.
Ende 1930 bewarb sich S. um die freigewordene Stelle des Chefarztes an der bekannten Bodelschwingh'schen Anstalt in Bethel erfolgreich. In Bethel führte S. insbesondere eine bedeutende Untersuchung über die Häufigkeit epileptischer Anfälle in einzelnen Lebensabschnitten durch. Hier begann er auch die von Hermann Simon (1867-1947) kurz zuvor vorgeschlagene "Arbeitstherapie" als effektive Therapiemethode zu erarbeiten. Dazu veranlasste er, u.a. die Pfleger entsprechend zu schulen.
In diese Zeit fällt der Beitritt S.s zur NSDAP. In seinem Lebenslauf Ende 1933 schrieb er: "Politisch bin ich - gebunden durch wissenschaftliche Aufgaben und abgestoßen durch die Tendenzen der früheren Parteien - nie tätig gewesen. Seit 1. Mai 1932 gehöre ich aber der nationalsozialistischen Bewegung an" (GLA Karlsruhe, 235/2481).
Seine Ergebenheit gegenüber dem Nationalsozialismus erklärte S. in einem Vortrag im Oktober 1933 aus Anlass des im Juli 1933 verkündeten "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses": "Der neue Staat... lebt nur in der lebendig getätigten Gesinnungsgemeinschaft der Staatsangehörigen... Der Kranke, der Abnorme ist dieser lebendigen Betätigung der Gesinnungsgemeinschaft nicht fähig... Der Staat aber, der sich anschickt, nur zu leben in einer Gemeinschaft seiner Angehörigen, hat ein Recht zu fordern, dass immer nur Menschen nachwachsen, die dieser lebendigen Gemeinschaft fähig sind.... Das sittliche Recht der Forderung nach einer Sterilisierung wird man mithin vom Standpunkte einer neuen Staatsgesinnung nicht bestreiten dürfen" (S., 1933, 235). Und zum Schluss: "Es geht ganz gewiss nicht ohne den Einsatz der Person. Hier verwirklicht sich dann auch die nationalsozialistische Gesinnung, die den Einsatz der ganzen Persönlichkeit für das Gemeinwohl auch an dieser Stelle verlangt" (ebd., 240).
Inzwischen wurde der Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie in Heidelberg wegen der Entlassung des vorigen Lehrstuhlinhabers im Juni 1933 vakant. Auf diese Stelle wurde S. berufen, offensichtlich nach Betreiben von Lenard, der den entsprechenden Vorschlag an das Ministerium noch im Juli 1933 gemacht hatte. Die Berufung wurde S. noch vor der Entscheidung der Fakultät durch das Ministerium angeboten. Obwohl der Entschluss der Fakultät hauptsächlich auf wissenschaftlichen Leistungen S.s basierte, spielte der politische Hintergrund ohne Zweifel eine ebenso wichtige Rolle.
Als neuer Leiter des Lehrstuhls und der Klinik nutzte S. "die tägliche Routine-Konferenz dazu, um pathetisch, geradezu glühenden Auges, über die nationale Revolution zu predigen" (Baeyer, 1977, 16). Dieselbe Einstellung ist auch deutlich in Vorlesungen S.s zu sehen: außer einem allgemeinen Kurs der Psychiatrie las er über "Rassenhygiene", "Volk und Rasse", "Die biologischen Grundlagen des nationalsozialistischen Rassengedankes", "Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik". Gleichzeitig war S. ab Herbst 1935 als Rassenreferent beim Gau Baden tätig.
Kein Wunder, dass der Gauleiter "besonderen Wert auf die Gewinnung dieser wertvollen Kraft" legte, denn "Pg. Dr. S. hat sich auch in hervorragenden Maße die ganzen Jahre her für die Bewegung eingesetzt" (Brief der Gauleitung an Ministerium vom 27.10.1937, GLA Karlsruhe 235/2481). So wurde S. als Gaudozentenführer und als Leiter des Amts für Rassenpolitik im Gau Baden berufen.
Seine Parteipflichten stellte S. über seine Verpflichtungen als Dekan und Senatsmitglied: Bei letzterem schied er auf eigenen Wunsch aus mit folgender Begründung: "Es besteht die Gefahr, dass ich als Senatsmitglied gebunden bin, Dinge zu vertreten, die ich als Gaudozentenführer unter anderen Winkel sehen muss" (UA Heidelberg, PA 5724).
Das letzte Beispiel der Gesinnung S.s ist durch den Artikel "Entartete Kunst und Irrenkunst" (1939) dargestellt. Obwohl das Wort "Entartung" schon lange existierte, stammt der Begriff "Entartete Kunst" hochwahrscheinlich eben von S.. Er schrieb: "Unser Volk bedarf der Teilnahme an der Kunst und der Erhaltung durch sie. Der nordische Mensch bedarf des Erlebnisses seiner höheren Bestimmung, seines vertieften Lebenssinnes zur Erhaltung seiner Art. Er erstickt in der Luft der Entartung... Die Erhaltung eines gesunden Kunstlebens ist daher eine der Voraussetzungen zum Gesundbleiben unseres Volkes" (S. 164).
Interessanterweise vermied es S., solche ideologischen Klischées in seinen wissenschaftlichen Publikationen zu benutzen - hier blieb er streng wissenschaftlich.
In seiner Klinik wirkte S. als guter Organisator, aber auch als kluger, therapeutisch engagierter Arzt, der geschickt und menschlich mit Kranken umzugehen wusste. Besonders effektiv erschien die durch S. eingeführte und mit großem persönlichem Einsatz betriebene sog. "Arbeitstherapie", die milieu-, übungs- und beschäftigungstherapeutische Methoden einschloss. "Sie soll das Leben des Kranken mit Tätigkeit erfüllen, soll ihm menschliche Befriedigung gewähren, soll das Bewusstsein seiner menschlichen Würde heben, soll durch erzielten Nutzen eigener Arbeit ihm auch objektiv deren Wert verschaffen und soll ihm die Ausschaltung aus der Arbeitsgemeinschaft der Gesunden minder fühlbar machen" (S., 1939, Behandlung...,115). Es wurden z.B. Schuhmacher- und Buchbinderwerkstätten eingerichtet. Dafür stellte S. handwerklich vorgebildete Pfleger ein, die er zum Teil aus Bethel mitbrachte. Das Ministerium lehnte alle Gesuche S.s ab, Geld für den Umbau der Klinik zu erhalten. So wurden die Patienten auch zu Umbau- und Ausbesserungsarbeiten in der Klinik eingesetzt. Insgesamt wurde die ganze Klinik zugunsten der Arbeitstherapie umgestaltet. Sie galt als vorbildlich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit; z.B. fanden Besuche von Ärzten und Wissenschaftlern aus den USA, Norwegen, Ungarn, Japan und den Philippinnen statt.
Damals war S. der erste, der sich nicht nur auf Diagnostik und Beschreibung beschränkte, sondern auf wirksamen Behandlungsmöglichkeiten konzentrierte. Dieser Ansatz erhält seine Bedeutung noch heute.
S.s letztes wissenschaftliches Werk, die Monographie "Die Schizophrenen Symptomverbände", wo er seine langjährigen Forschungen über Schizophrenie zusammenfasste, erschien 1942. Kurt Schneider (s. dort), der die NS-Ideologie entschieden ablehnte, schrieb darüber an Karl Jaspers (1883-1969) im Juni 1942: "Das neue Buch von C. S. halte ich für sehr einfallsreich. Dinge, an die noch niemand gedacht hat" (Pfeiffer, 2004, 569). Über die Zeit vor dieser Publikation gibt es ein Zeugnis von Jaspers selbst. Er schreibt:, als er S. 1941 um die Benutzung der Bibliothek bat, S. "behielt mich... eine Stunde da und sprach über 'Symptomenverbände' - damals noch nicht erschienen und über andere psychiatrische Dinge - ungemein klug, in höchst lebendiger Diskussion, ganz bei der Sache... so gescheite Leute sind Nazis! Der Mann hat wirklich wissenschaftliche Interessen! Da es mir durch das, was ich wusste, unmöglich war, ging ich nie wieder zu ihm. Aber ich würde nicht bemerkt haben, dass er ein Nationalsozialist war" (Pfeifer, 2004, 598).
Tatsächlich waren jedoch die wissenschaftlichen Interessen S.s durch nationalsozialistische Ideologie vergiftet und mündeten im Verbrechen.
Bereits von Anfang an proklamierte S. : "Die Gesinnung unserer Zeit wird nicht geändert durch Bedenklichkeit, sondern nur dadurch, dass man sich dem Dienst des neuen Staates und damit auch in den Dienst dieses Gesetzes [über Sterilisation] stellt...Wenn ich glaube, Bedenken, die ich früher hatte, zurückstellen zu können, dann ist das nicht die Frage kalter Logik, sondern eine entschiedene Wendung aus innerer Haltung. Rationale Wissenschaft und irrationaler Glaube stehen nicht mehr im Gegensatz" (S., 1933, 244). So hat sich der Wissenschaftler S. der neuen "Religion" unterordnet - offensichtlich mit voller Überzeugung. Sogar seine große Leistung, die Arbeitstherapie, war auf die Wiedereingliederungsfähigkeit der Patienten in die "Gesinnungsgemeinschaft" gerichtet. Konnte der Patient eine gewisse mit Nutzen für den Staat verbundene Leistungsfähigkeit nicht wieder erreichen, wurde er somit "lebensunwert". Das Schicksal von denen, die als unheilbar galten, war grausam. Es begann mit der Zwangssterilisation, mündete weiter in die zielgerichtete Tötung.
Bekanntlich beteiligte sich S. als einer der Vorbereiter und Gutachter an der "T-4-Aktion", wie das Euthanasie-Projekt bezeichnet wurde. Bei der Planung der "T-4-Aktion" lag es den Psychiatern nahe, dass sich hier die Möglichkeit eröffnete, klinische Beobachtungen bei der Auswahl der Patienten für die Tötung durch pathologische Befunde zu vervollständigen. S. betrachtete sich als wissenschaftlichen Leiter dieses Projekts und war es tatsächlich. Trotz zunehmenden kriegsbedingten Schwierigkeiten und Hindernisse kämpfte S. fanatisch beharrlich für Fortsetzung dieses Projekts. Seine berüchtigte Tätigkeit ist in der Literatur, insbesondere bei Schmuhl, 1987, Laufs, 1989, und Teller, 1990, ausführlich nach den Quellen dargestellt. Besonders hässlich sind dabei Arbeiten mit kranken Kindern: Von den 52 untersuchten Kindern wurden 21 in der Anstalt Eichberg nach Vorgabe S.s und seiner Mitarbeitern getötet mit dem Ziel, ihre Gehirne in Heidelberg zu untersuchen - im Namen der Wissenschaft (Rotzoll u.a, 2012). Es ist hier hinzuzufügen, dass die Schwiegertochter S.s, Monika S., ihre Doktorarbeit "Stoffwechselbelastungsproben bei schwachsinnigen Kindern" (Promotion 1946) als Teil dieses wissenschaftlichen Programms S.s durchgeführt hatte.
In seinem letzten Artikel (1943) plädierte S. für die Bedeutung der Psychiatrie und für das Vertrauen in sie, das damals schon untergraben war: "Die Psychiatrie steht an einer der wichtigsten Fronten im Kampf um die Volksgesundheit. Sie hat sich nunmehr Mittel geschaffen, diesen Kampf erfolgreich zu bestehen" (S. 1943, 192)
Nach dem Kriegsende folgte im August 1945 die Entscheidung von Rektor und Senat über die "Streichung aus dem Lehrkörper der Universität" der 13 "Repräsentanten extremen Nazitums", u.a. S. (UA Heidelberg, B 3029/18). Mittlerweile war S. vor dem Einmarsch der Amerikaner geflohen und tauchte zunächst als Patient in der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen unter, wurde aber verhaftet und in Ludwigsburg interniert, später jedoch freigelassen. Nach der Verhaftung des Direktors der Tötungsanstalt Eichberg, von wo die Heidelberger Klinik die Gehirne für Forschung bekam, wurde S. erneut festgenommen. Er wollte nicht auf den Prozess warten und beging Selbstmord durch Aufschneiden der Pulsadern und Erhängen. In seinem Abschiedsbrief an seine Frau stand: "Mein Handeln war streng gesetzmäßig...Du weißt auch, dass ich nur für die Kranken gelebt habe" (Teller, 1990, 478).
Q UA Leipzig, Med. Fak. Promotionen; RA 967 (Akten des Rektorats); GLA Karlsruhe: 235/2481, 235/2482 (Personalakten S.), 235/29873 (Berufung S. nach Heidelberg), 466/16591 (Hinterblieben-Bezüge); UA Heidelberg: PA 1161, PA 5724, PA 5725, Rep.27, Nr. 1201 (Vorlesungen S.); B-6571/1 (Psychiatrisch-neurologische Klinik), H-III-587/1 (Lehrstuhl d. Psychiatrie), H-III-200/1-3 (Akten d. Med. Fak.), PA 1267 (Konrad Zünder), B-3029/18 (Entlassung S. aus dem Lehrkörper). Auskünfte aus: UA Leipzig vom 20. u. 21.06.2012, StadtA Heidelberg vom 17.07.2012 u. UA Würzburg vom 2.08.2012
UA Würzburg vom 2.08.2012 u. Archiv d. Fürstenschüler-Stiftung, Grimma vom 7.09.2012.
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