QuadbeckGünter Karl Friedrich Wilhelm, Chemiker, Neurochemiker

*27.08.1915, Dortmund. Ev. +25.06.2004, Heidelberg

V Otto Wilhelm Ludwig Q. (1875-1922), Kaufmann, Fabrikant.  Stiefvater (ab 1951 – Adoptiv-Vater) Paul Friedrich Arthur Q. (1869-1968), Kaufmann, Fabrikant.

M Valentine Elisabeth (Ella), geb. Bedbur (1885-1972), Hausfrau.

G 2: Otto Heinrich  Paul Eduard (1914-1985), Kaufmann, Ingeborg (*1912)

∞ 30.12. 1942 Grünwald bei München, Irmgard Ringelmann (1919-1997), Hausfrau.

 Heinz (*1943), Dr. med., Psychiater;  Jost (*1945), Dr. med., Internist; Christa (1946-2001).

 

1921-1934                              Schulbildung: Deutsche Schule in den Haag (1921/22), Volkschule (1922-1925) u. Kaiserin-Friedrich-Gymnasium in Bad Homburg vor d. Höhe; Abitur Februar 1934, Note – Gut

1933 V 1                                 Eintritt in die NSDAP

1934-1942                              Studium Chemie an d. Univ. München: WS 1934/35, SS 1935, WS 1937/38-SS1939, WS 1940/41, WS 1941/42; Diplomprüfung am 25.03.1942

1935 X-1937 IX                      Wehrdienst

1939 VIII-1944 VII                  Militärdienst; 1940 Fallschirmschützenabzeichen, 1941 EK II. Kl.

1942 XI-1959 X                      Wiss. Hilfskraft, ab Juni 1948 – wiss. Assistent am Chemischen Institut des Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung, Heidelberg

1945 III 25                              Promotion zum Dr. rer. nat. an d. Univ. Heidelberg; Diss.: „Untersuchungen über Ester“. Note – „Sehr gut“.

1955 XII-1960 IV                    Studium Medizin an d. Univ. Heidelberg

1959 I 22                                Habilitation für Biochemie an d. Med. Fak. d. Univ. Heidelberg; H.-schrift: „D. Stoffwechsel zwischen Blut u. zentralnervösem Gewebe“; Probevortrag: „Thixotrope Eigenschaften biologischer Strukturen“

1959 X 12                               Umhabilitation für Neurochemie an d. Med. Fak. d. Univ. des Saarlands

1959 X- 1965 XI                     Dozent, ab Aug. 1964 apl. Professor an d. Univ. des Saarlands; gleichzeitig Leiter des Neurochemischen Laboratoriums, ab April 1964 d. Neuro-Chemischen Abteilung an d. Psychiatrisch-Neurologischen Uniklinik in Homburg.

1965 IX- 1980 IX                    o. Prof. der Pathologischen Chemie u. Direktor des Instituts für Pathochemie u. Allgemeine Neurochemie am Pathologischen Institut d. Univ. Heidelberg

1970 I – 1974 IX                     Dekan d. Med. Gesamtfakultät u. d. Fakultät für Theoretische Medizin

1974 X- 1979 IX                     Prorektor d. Univ. Heidelberg

1974 XI                                   Der Grad eines Dr. med. erteilt von der Med. Fakultät Heidelberg aufgrund seiner 110 wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet d. Biochemie u. Medizin

1980 IX 30                              Emeritierung auf eigenen Antrag

 

Ehrungen: Max-Bürger-Preis d. Deutschen Ges. für Gerontologie u. Geriatrie (1968); Bundesverdienstkreuz am Bande (1981); Ehrenmitglied d. Hirnliga e.V. (1993).

 

Q. wurde in Dortmund geboren, verbrachte aber seine ersten Lebensjahre in den Haag, weil sein Vater  1916 mit Familie in die Niederlande umgesiedelt war, um von dort aus Lebensmittelexporte nach Deutschland zu organisieren.

Wegen der angeschlagenen Gesundheit des Vaters kehrte die Familie 1922 nach Deutschland zurück und wählte als Wohnsitz den Kurort Bad Homburg vor der Höhe. Q.s Vater starb dennoch kurz darauf und seine Mutter heiratete den Bruder ihres verstorbenen Mannes Paul Q..Später (1951) adoptierte Paul Q. seine Stiefsöhne. Bemerkenswert ist jedoch, dass Q. noch 1943 als seinen Vormund lediglich seine Mutter nannte (UA Heidelberg, Studentenakte Q. 1943-1944).

In Bad Homburg besuchte Q. das renommierte Kaiserin-Friedrich-Gymnasium. Vermutlich war der Gymnasiast, wie so viele junge Leute, von der nationalsozialistischen Bewegung begeistert: Anfang 1932 schloss er sich der Hitlerjugend an und bereits im Mai 1933 trat er der NSDAP bei. Allerdings bekleidete er in der Partei keine Posten. Später, Ende 1939, wurde Q. aus der Partei wegen kritischer Bemerkungen in einem Brief aus Polen an seinen Bruder in Spanien ausgeschlossen. Dank einer Amnestie kam Q. jedoch ohne gerichtliche Strafe davon (A d. Max-Planck-Ges., II. Abt. Rep. 23, Nr. 51, Lebenslauf Q. 1946).

Anfang 1934 beendete Q. seine Schulbildung. Seine Leistungen waren in Physik und Chemie mit „sehr gut“, in anderen mit “gut“, in einigen geisteswissenschaftlichen und schöngeistigen Fächern (Griechisch, Geschichte, Musik, Kunst)  mit „genügend“ bewertet. „G. Q. will Chemiker werden“  steht am Ende des Reifezeugnisses.

Dazu teilt sein Sohn mit: „Naturwissenschaftliche Interessen wurden offensichtlich zunächst durch einen exzellenten Physikunterricht geweckt, den G.Q. durch die Teilnahme an einer zusätzlichen Physikalischen Arbeitsgemeinschaft ergänzte. Hier führte er bereits die meisten Praktikums Experimente der ersten Semester durch. Demgegenüber war der Chemieunterricht an dem humanistischen Gymnasium  wohl eher bescheiden, jedoch hatte mein Vater die Möglichkeit, im Keller des elterlichen Hauses ein kleines Labor einzurichten und erste Erfahrungen zu sammeln“ (Aus dem Brief von Heinz Q. vom 14.01.2014).

 

Vom Juni bis Mitte Oktober 1934 arbeitete Q. im Arbeitsgau Wiesbaden in der Landwirtschaft  und erfüllte damit seine Abiturientenpflicht. Nun durfte er studieren und immatrikulierte sich an der Universität München. Hier genoss er eine erstklassige chemische Schule: Direktor des Chemischen Instituts war der Nobelpreisträger Heinrich Wieland (BWB III, 457), anorganische Chemie unterrichtete der Klassiker auf dem Gebiet der Atomgewichtsbestimmungen Otto Hönigschmid (1878-1945), physikalische Chemie – der weltberühmte Kasimir Fajans (BWB IV, 72).

Nach zwei Semestern wurde sein Studium erstmals durch Militärdienst und nach seiner Rückkehr und weiteren drei Semestern zum zweiten Mal unterbrochen. Ab August 1939 wurde Q. zum Wehrdienst eingezogen – bis Februar 1940 war er Führer einer Munitionskolonne in Polen, danach versetzte man ihn zu einer Fallschirmjägerausbildung, er sollte an den Luftlandeoperationen auf Kreta teilnehmen. 1941 fand der Absprung über Kreta statt, wobei Q. noch in der Luft durch Granatsplitter durch Flak-Beschuss verletzt wurde. Später (1943) war Q. insbesondere als Rekruten-Ausbilder in Deutschland und Frankreich tätig.

Offensichtlich zeigte sich Q. als guter Soldat: Bereits im Herbst 1937 war er Unteroffizier mit Bewertung „sehr gut“. Während des Kriegs verdiente er das Eiserne Kreuz. Er wurde aber nie befördert, offensichtlich erschien es ihm wichtiger, Studienurlaub zu erhalten: Er strebte  beharrlich zur Wissenschaft.  Zwei Mal konnte er Studienurlaub für sich durchsetzen, um letztendlich  sein Chemiestudium in München mit der Diplomprüfung im März 1942 abzuschließen.

Nach der Diplomprüfung benutzte Q. seinen nächsten Urlaub, um ab November 1942 in Heidelberger Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung Doktorand bei dem berühmten Richard Kuhn (BWB IV, 196) zu werden. Im Jahr davor war in Kuhns Institut eine Kampfstoffabteilung eingerichtet worden, vor Allem, um die Wirkungsweise der neuen Nervengase Tabun und Sarin zu klären. Q. war in diese Abteilung eingewiesen, zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft. Außer Arbeiten über Synthese notwendiger organischer Stoffe – solchen Synthesen sind die ersten Publikationen Q.s gewidmet, – musste Q. bald den Bereich der Biochemie bearbeiten. Eine seiner Aufgaben bestand in der Überprüfung, ob die zyklischen Kohlenwasserstoffe Cyclooctatetraen und Cyclodecapentaen therapeutische Wirkung zur Behandlung von durch Lost (Senfgas) erwirkten Hautverletzungen leisten könnten. In Tierversuchen wurde dies bestätigt. Die zweite Aufgabe erwies sich für wissenschaftliche Entwicklung Q.s als entscheidend: Einerseits bildete sie die Grundlage seiner Doktorarbeit, andererseits, noch wichtiger, bestimmte sie letztendlich das Hauptgebiet seiner weiteren Forschungen, nämlich, die Wirkungen chemischer Substanzen und Pharmaka auf Gewebe, besonders auf die zentralnervösen Gewebe und deren pathologische Veränderungen. Es handelte sich damals um Versuche, die Wirkung der Nervengase Tabun, Sarin und später auch des von Kuhn entdeckten Soman durch Vitamin E zu verhindern, sowie um die Erforschung der Wirkungsweise dieser Nervengase.

Im April 1943 wurde Q. nochmals zu der Wehrmacht eingezogen, bald aber dank Kuhns Bemühungen beurlaubt, um im August 1944 endgültig als UK entlassen zu werden. Nun betraute ihn Kuhn mit der Forschung von enzymatischem Abbau der erwähnten Nervengase, was dann Gegenstand seiner Doktorarbeit wurde.

Nach der von Anfang an bestehenden Bestimmung wurden keine Doktoranden Kuhns zur Promotion in Heidelberg zugelassen. Im März 1945 konnte Kuhn jedoch vereinbaren, dass Q. wegen der Ausnahmelage in Heidelberg promovieren durfte.

Kuhn betonte in seinem Referat über Q.s Doktorarbeit, ohne jeglichen Bezug zum Inhalt, dass der Dissertant „präparativ und analytisch schwierige Probleme mit Erfolg zu bearbeiten versteht und die Ergebnisse der eigenen Versuche auch vom theoretischen Standpunkte klar darzustellen vermag“ (A d. Max-Planck-Ges., II. Abt. Rep. 23, Nr. 51). Das Referat des Direktors des Chemischen Instituts der Universität, Karl Freudenberg (BWB III, 87) liegt nicht mehr vor, es dürfte aber bestimmt positiv gelautet haben.

Das Rigorosum mit Chemie als Hauptfach, sowie Physik und Pharmakologie als Nebenfächer fand am 25. März statt. Die Promotion wurde mit der Gesamtnote „sehr gut“ bewertet.

Dissertation Q.s wurde unter dem nichts sagenden Titel „Untersuchungen über Ester“ (alle drei genannten Kampfstoffe gehören zu phosphororganischen Estern) als „geheime Arbeit“ (so im Promotionsprotokoll) in nur zwei Exemplaren gefertigt, die nicht zugänglich sind. Über seine Arbeit auf dem Gebiet der Kampfstoffe erwähnte Q. erst 1980, als er über die Entdeckung des äußerst wirksamen Kampfstoff Soman von R. Kuhn berichtete und bemerkte: „Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Richard Kuhn wurden bisher nicht veröffentlicht, die Dissertation von Q. wurde nach Vorlage bei den Referenten durch das Heereswaffenamt beschlagnahmt“ (Pathochemie, 1980, 202f.). Vermutlich war danach ein Exemplar durch die Britten und das zweite durch die Russen requiriert.

Mit seiner ausnahmeweise erlaubten Promotion hatte Q. Glück: Eine Woche später war Heidelberg durch Amerikaner besetzt, und jegliche wissenschaftliche Arbeit  verboten. Jedoch konnte Kuhn bereits im Juli 1945 die Erlaubnis der Besatzungsbehörden bekommen, Forschungsarbeiten  in seinem Institut wiederaufzunehmen mit der Maßgabe, die Herstellung von Medikamenten zu betreiben. Q., der nach einer politischen Überprüfung als „Mitläufer“ eingestuft worden war (UA Heidelberg, PA5371), durfte weiter arbeiten, und zwar  an mehreren Fragestellungen. Zunächst war es die Untersuchung der Toxizität und pharmakologischen Eigenschaften von Dibromsalizyl, einer sehr wirksamen bakteriostatischen (d.h. Vermehrung von Bakterien hemmenden) Substanz, die im Institut synthetisiert worden war, weiter toxikologische Untersuchungen pharmazeutischer Lösungsmittel. Als „Nebenprodukt“ dieser Forschungen war die Entwicklung einer effektiven Apparatur zur Herstellung von Keten (CH2CO), der Substanz für Durchführung der sog. Acetylierung (Einführung der Gruppe CH3COO in ein organisches Molekül) bei organischen Synthesen. 

 

Von besonderer Reichweite, auch für Q. selbst, erschienen seine Forschungen über Stoffwechsel zwischen Blut und Gewebe, vor allem zentralnervöser Gewebe, die zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Hirnforschung durchgeführt wurden. Denn seitdem trug Q. maßgeblich zur Erkenntnis der Permeabilität von Kapillaren, die das Gehirn mit Blut versorgen, und damit  zum besseren Verständnis der Funktion der „Blut-Hirn-Schranke“ bei.

 

Q.s Arbeit auf dem Gebiet der Chemie, das an die Biologie grenzte, veranlasste ihn, Pläne zu schmieden, dass er sich an der Medizinischen Fakultät für das Fach Physiologische Chemie habilitieren könnte. Laut der Bestimmungen forderte die Fakultät dazu ein abgeschlossenes medizinisches Studium. Mit bewundernswerter Tatkraft entschied sich Q. auch diese Hürde zu nehmen. Das war umso schwieriger, als eine Immatrikulation von Berufstätigen nicht erlaubt war. Kuhn unterstützte Q. und gab ihm die Bescheinigung, dass er einverstanden sei, dass Q. sein „Medizin-Studium bei gleichzeitiger Ausübung seines Berufes als wissenschaftlicher Assistent <…> durchführt. Die zum Studium erforderliche Freizeit wird Dr. G. Q. zur Verfügung stehen“ (UA Heidelberg, Studentenakte Q. 1955-1960). Q.s Gesuch um Immatrikulation wurde durch den Rektor Klaus Schäfer (BWB IV, 312) „ausnahmeweise genehmigt“ (ebd.). Im Alter bemerkte Q. knapp, dass sein Medizin-Studium „eine erhebliche zeitliche Belastung mit sich brachte“ (Q. 1993, 62).

Die Medizinische Fakultät erlaubte Q., sich noch vor dem Abschluss des Studiums zu habilitieren. Q.s Habilitationsschrift „Der Stoffwechsel zwischen Blut und  zentralnervösem Gewebe“ existiert leider lediglich als Tiposkript  und auch der Habilitationsvorgang  Q.s liegt nicht mehr vor. Belegt ist nur, dass die Venia legendi am 22. Januar 1959 Q. erteilt war.

Während des WS 1958/59 und SS 1959 war Q. gleichzeitig Student und Dozent, und las als solcher zwei Stunden pro Woche „Einleitung in die dynamische Biochemie“ (die ärztliche Staatsprüfung konnte Q. erst im Juli 1960 ablegen). Nun eröffnete sich für ihn eine neue Perspektive: Die Universität des Saarlands.

Diese 1948 gegründete Universität erlebte nach der Eingliederung des Saarlandes 1957 in die BRD eine Zeit von intensiver Entwicklung. Insbesondere die Universitätskliniken im Landeskrankenhaus Homburg (Saar) erhielten Wachstumsimpulse. Der neue (seit 1958) Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie und Direktor der Psychiatrisch-Neurologischen Uniklinik, Hans Hermann Meyer (1909-2000) sah in der Person Q., des damals bereits anerkannten Forschers, die beste Kandidatur zum Posten des Leiters des neu zu errichtenden Laboratoriums für Neurochemie. Q. nahm das Angebot Meyers an, vor Allem, weil es die Möglichkeit eröffnete, „in unmittelbarem Kontakt mit der Klinik die in Heidelberg begonnenen Arbeiten weiter zu führen“ (Q., Lebenslauf vom 30.01.1964; UA Heidelberg, H-III-580/5). Die Umhabilitation Q.s bei der Medizinischen Fakultät in Homburg Mitte Oktober 1959 war eher eine rein formelle Prozedur: Es reichte einer Vorstellung durch Meyer. Das Ministerium verlangte aber, außer den üblichen Personalunterlagen, ein Zeugnis über die Vordienstzeit. „Dr. Q.“, schrieb R. Kuhn in seinem Zeugnis vom 27.10.1959, „ist ein ausgezeichneter organischer Chemiker, der auch Gebiete der physiologischen Chemie und der Medizin beherrscht. <…> Nicht nur wissenschaftlich, sondern auch menschlich schätze ich Herrn Dr. Q. sehr hoch ein“ (A der Univ. des Saarlands, PN 9285).

An diesem Ort ist zu betonen, dass die 16-jährige Mitarbeit bei dem großen Gelehrten Kuhn die wissenschaftliche Laufbahn Q.s, sowie das Niveau seiner Forschungen prägte. Q. schrieb zwei Nachrufe auf Kuhn (1967) und später (1985) verfasste einen glänzenden Artikel über ihn, der wohl eines der besten Portraits Kuhns bleibt,

Im Herbst 1959 siedelte Q. mit der Familie nach Homburg (Saar). Die ersten vier Semester las er zwei Stunden wöchentlich eine „Einführung in die Neurochemie“, danach, noch 7 Semester lang, „Biochemische Grundlagen zentralnervöser Erkrankungen“. Außerdem unterrichtete er alle diese Jahre eine ganztägige „Einleitung zu wissenschaftlichen Arbeiten im Laboratorium der Neurochemie“.

Die wissenschaftliche Tätigkeit Q.s war auf die Erforschung von Veränderungen der Blut-Hirn-Schranke bei psychischen Erkrankungen und von Möglichkeiten, diese Veränderungen durch Psychopharmaka zu beeinflussen, gerichtet. Er trug darüber am Weltkongress für Psychiatrie in Montreal im Juni 1961 und am Internationalen Neurochemischen Symposium in Göteborg im Juni 1962 vor. In diese Zeit fällt auch sein erster Einsatz an der Geriatrie, der Vorschlag, Pyrrithioxin (ein Derivat von Vitamin B6) zu verwenden, um den Glukoseübergang vom Blut ins Gehirn zu erhöhen (Q. u.a.,1962, 152). Das wurde dann klinisch bestätigt.

Es ist unmöglich festzustellen, ob das stetige Interesse Q.s an der Gehirnforschung außer dem rein wissenschaftlichen auch einen persönlichen Grund, ein Familienunglück, hatte: Seine Tochter war wegen einer frühkindlichen Hirnschädigung  zu lebenslangem Verbleiben in psychiatrischen Anstalten bestimmt.

Die erfolgreiche Tätigkeit Q.s veranlasste Meyer, ihn zum Abteilungsleiter zu befördern. In seinem Antrag (Mai 1963) charakterisierte er Q. als „ideenreichen und sehr fleißigen Forscher“ und als akademischen Lehrer, der sich „mit großem Eifer und Erfolg“ sich erwiesen hat (A der Univ. des Saarlands, PN 92285).

Beförderung Q. zum Abteilungsleiter sollte auch mit dem Titel „außerplanmäßiger Professor“ verbunden werden, aber dies geschah nicht, weil eine sechsjährige Lehrtätigkeit dazu erforderlich war. Die Professur  wurde möglich erst 1964. Damals aber kam es bereits zur Errichtung eines Ordinariats und eines Instituts für Pathologische Chemie in Heidelberg, wobei die Berufungskommission Q. „primo loco“ nannte.

Q. nahm den Ruf an die Universität Heidelberg mit Wirkung vom 1.10.1965 an, war aber bereit, die Leitung seiner höchst spezialisierten Abteilung in Homburg noch einige Monate je 2-3 Tage pro Woche weiter zu führen, bis ein Nachfolger gefunden wäre.

IIIn Heidelberg vertrat Q. die Kapitel über Pathochemie in der Hauptvorlesung „Allgemeine Pathologie“ von Prof. Wilhelm Doerr (1914-1996) – daraus entstand ein von beiden verfasstes Lehrbuch (1970). Ab WS 1974/75 wurden diese Kapitel als eine selbständige Vorlesung „Pathophysiologie und Pathobiochemie“ dargestellt, die Q. und seine Mitarbeiter bis SS 1979 abhielten. Außerdem, ebenso wie in Homburg, las Q. über „Biochemische Grundlagen zentralnervöser Erkrankungen“, aber auch über „Technik der Pathochemie“ und „Ausgewählte Kapitel aus der Pathochemie unter besonderer Berücksichtigung des Zentralnervensystems“. Diese waren nicht Pflichtvorlesungen für Studierende, und der Schwerpunkt der Lehrtätigkeit Q.s lag in der Forschungsarbeit mit seinen Assistenten und Doktoranden. Sie war Fortführung von früheren Fragestellungen zur Blut-Hirn-Schranke.

 

Unter den Ergebnissen hob sich hervor eine neue Methode für die elektroenzephalographische Kontrolle von medikamentösen Wirkungen auf Sauerstoffmangel im Hirn in Tierexperimenten und eine gaschromatographische Methode zur Messung der Hirndurchblutung bei Menschen. Dabei traten die Probleme der Gerontologie nach und nach in den Vordergrund. Q. war auch bestrebt, sich für dringende Belange der Gerontologie in die Öffentlichkeit einzusetzen.

 

Im Oktober 1973 hielt Q. vor dem Symposium über Gerontopsychiatrie einen inhaltsreichen Vortrag über biochemische Methoden der Früherfassung zerebraler Gefäß-Prozesse, die in Heidelberg erarbeitet wurden. Er plädierte, dass auch „an anderen Stellen Deutschlands solche Untersuchungsstellen aufgebaut werden sollten, um die für eine notwendige allgemeine Anwendung erforderlichen Erfahrungen zu sammeln“ (1974, 313f.) und schloss mit ironischer Bemerkung: „Die Orientierung am psychopathologischen Bild ist heute für eine systematische cerebrale Therapie ebenso wenig ausreichend wie das Fieberthermometer als alleiniges Diagnostikum einer Infektionskrankheit“ (ebd.).

Bald danach sollte Q. sich von der wissenschaftlicher zu rein organisatorischer Tätigkeit umstellen: Er wurde zum Prorektor gewählt. Ihm wurden „zur ständigen Erledigung“ drei Geschäftsbereiche übertragen: Verwaltungsrat, Forschung und Graduiertenförderung. Die ständige Vertretung des Rektors im Vorsitz des Verwaltungsrats war „eine verantwortungsvolle, aber auch zeitraubende Tätigkeit“ (Q., 1993, 65). Sein Dienst fiel in die Zeit nach der Teilung der früheren fünf Fakultäten in vorübergehend 16, was viel interne Unruhe brachte. „Ein besonderes Verdienst Q.s kann darin gesehen werden, dass er zu wenigen zählte, die in dieser Zeit unbeirrt eine klare Position bezogen und Rückgrat zeigten“ (Berlet, Hoyer, 1981).

Vor dem Ende seiner Dienstzeit als Prorektor stellte Q. ein Gesuch um ein Forschungssemester (WS 1979/80) für sich: Er wollte die von ihm zu betreuenden Arbeiten abrunden. Als dies erledigt war, emeritierte sich Q. auf eigenen Antrag.

Im Ruhestand pflegte Q. Kontakte zu Kollegen, verfolgte die wissenschaftliche Weiterentwicklung und besuchte Veranstaltungen der Universität. Bis ins achtzigste Lebensjahr blieb er leidenschaftlicher und versierter Motorradfahrer. In den ersten zehn Jahren verbrachte er zusammen mit seiner Frau Zeit auch bei Fahrten auf seinem Segelboot: schon lange war er ein erfahrener Segler. Mit fast 89 Jahren starb er.

 

Vom Beginn seiner Berufslaufbahn an sollte Q. sich mit Wirkungen chemischer Stoffe auf biologische Prozesse bei lebendigen Organismen konfrontieren. Die chronologische Liste seiner knapp 120 Publikationen spiegelt seinen Weg „von der Organischen Chemie zur Gerontologie“ wider, wie er als Emeritus seine wissenschaftliche Autobiographie bezeichnet hat. Den Kern seines Lebenswerks bildet der international gewordene Fachbegriff „The blood-brain barrier“.

 

Q A d. Max-Planck-Ges., Berlin: II. Abt. Rep. 23, Nr. 51 (Unterlagen Q.); UA Heidelberg: Studentenakte Q (1943-1944); H-V-306/2 (Promotionsakte Q.); Studentenakte Q (1955-1960); H-III-201/3, H-III-201/4 (Akten d. Med. Fak. 1958-1965); H-III-580/5 (Akten des Pathologischen Instituts); PA 5371, PA 9039 (Personalakten Q); Rep.27/1706 Akademische Quästur Q.); Akten d. Zentralen Universitätsverwaltung Heidelberg Nr. 1120 (Prorektorat Q.); A d. Univ. des Saarlands: PN 92285 (Personalakte Q.) u. Auskunft vom 5.12.2013; Auskünfte aus dem Staatsarchiv Wiesbaden vom 30.12.2013 u. dem Archiv des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums, Bad Homburg, vom 15.01.2014; Informationen von Dr. Heinz Q. (Briefe vom 14.01. 19.01. u. 21.01.2014).

 

W (mit R. Kuhn) Synthetische Darstellung von Lanthionin, in: Berr. d. Deutschen Chemischen Ges. 76, 1943, 527f.; (mit R. Kuhn u. E. Röhm) Zur Synthese des meso-Inosits, in: Annalen d. Chemie 565, 1949, 1-6; Prüfung von Dibromsalicil im Tierversuch, in: Klinische Wochenschrift 27, 1949, 449-452; Physiologische Wirkungen d. Leukonsäure, in: Zs. für physiologische Chemie 285, 1950, 83-90; (mit H. Becker) Vitalversuche am Zentralnervensystem mit Triphenyltetraazoliumchlorid, in: Die Naturwissenschaften 37, 1950, 565-567; Leistungsfähiger Keten-Generator für Laboratoriumszwecke, in: Chemie-Ingenieur-Technik 24, 1952, 210f.; (mit H. Becker) Tierexperimentelle Untersu­chungen über die Funktionsweise der Blut-Hirnschranke, Zs. für Naturforschung 7b, 1952, 493-497; (mit H. Becker) Untersuchungen über Funktionsstörungen d. Blut-Hirn-Schranke bei Sauerstoffmangel u. Kohlenoxydvergiftungen mit dem neuen Schrankenindikator Astraviolett FF, ebd., 498-500; (mit K. Randerath) Wirkung von Rutin auf die Blut-Hirnschranke, ebd. 8b, 1953, 370-374; (mit R. Kuhn u. E. Röhm), 2-Acetonyl-thiazolin, in: Berr. d. Deutschen Chemischen Ges. 86, 1953, 468-472; Keten in d. präparativen organischen Chemie, in: An­gewandte Chemie68, 1956, 361-370; (mit E. Röhm) Zur Synthese von Aminocycliten, in: Berr. d. Deutschen Chemischen Ges. 89, 1956,1645-1648; (mit J. Hallervorden) Die Hirnschütterung u. ihre Wirkung auf das Gehirn, in: Deutsche med. Wochenschrift, 82, 1957, 129-134; (mit H. Helmchen) Die Blut-Hirnschranke, ebd., 1377-1382;

D. Stofftransport durch biologische Membranen, in: Die Medizinische Nr. 37, 1957, 1685-1689;

(mit A. S. Kainarou) Untersuchungen über den Grundvorgang d. Commotio cerebri, ebd. Nr. 47, 1988-1991; (mit H. Helmchen) Krampfbereitschaft u. Blut-Hirn-Schranken-Permeabilität, in: Deutsche Zs. für Nervenheilkunde 177, 1958, 295-308; (mit W. Schmitt) Zum Wirkungsmechanismus neuroplegischer Substanzen, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 237, 1959, 94-103; (mit P. B. Diezel) Nervenschädigung durch p-Bromphenylacetyl-Harnstoff, ebd., 238, 1960, 534-541; (mit W. Sachsse) Beeinflussung d. Blut-Hirnschranke durch Neuroleptien im Dauerversuch, in: Archiv für Psychiatrie u. Zs. für die gesamte Neurologie 201, 1961, 580-592; Blut-Hirnschranke u. Hirnernährung, in: Münchener med. Wochenschrift 104, 1962, 24-26;  (mit H. R. Landmann, W. Sachsse u. L. Schmidt) D. Einfluss von Pyrithioxin auf die Blut-Hirnschranke, in: Medicina experimentalis 7, 1962, 144-154;

Influence of psychotropic drugs on the blood-brain-barrier, in: Neuro-Psychopharmacology 3, 1964, 436-439; (mit W. Schmitt) Klinisch-psychopathologische u. tierexperimentelle Untersuchungen zur Frage d. chronischen Phenmetrazin-Intoxikation, in: Arzneimittel-Forschung 16, 1966, 247-249; Physiologie u. Pathologie d. Blut-Hirn-Schranke, in: Hippokrates 38, 1967, 45-53; Richard Kuhn+, in: Ruperto Carola 42, 1967, 120f.; Professor Dr. Dr. h. c. mult. Richard Kuhn (1900-1967), in: Fortschritte d. Medizin 85, 1967, 689; Pathochemie d. Alterungsvorgänge im Gehirn, in: Verhandlungen d. Deutschen Ges. für Pathologie 52, 1968,64-74; (mit W. Doerr) Allgemeine Pathologie, 1970, 21973; (mit D. Quadbeck) D. Einfluß des Süßstoffes Natriumzyklamat auf das Stoffwechsel-geschädigte Gehirn, in: Zs. Für Gerontologie 3, 1970, 24-30; Die Ernährungsstörungen des menschlichen Gehirns im Alter, in: D. Platt, H.-C. Lasch (Hg.), Molekulare u. zellulare Aspekte des Alterns, 1971, 231-240; (mit G. Krüger) Das Sauerstoffmangel-Elektroenzephalogramm d. Ratte als Indikator für eine medikamentöse Beeinflussung des Hirnstoffwechsels, in: Arzneimittel-Forschung 22, 1972, 451-456; Die Technik d. objektiven Früherfassung cerebraler Gefäßprozesse, in: Gerontopsychiatrie, Bd. 3: 3. Symposion d. gerontopsychiatrischen Arbeitsgemeinschaft, 1974, 310-315; (mit H. Niederländer u. H.-J. Zimmermann) Rechenschaftsbericht[e] des Rektors über die Zeit vom April 1974 bis März 1979, in: Ruperto Carola H. 55/56, 1975, 7-14, H. 57, 1976, 5-23, H. 61, 1978, 5-22, H. 62/63, 1979, 5-24; Pathochemie, in: V. Becker, K. Goerttler, H. H. Jansen (Hg.): Konzepte der theoretischen Pathologie, 1980, 197-203; Richard Kuhn (1900-1967), in: Semper apertus, Bd. 3, 1985, 55-72; Von d. organischen Chemie zur Gerontologie, in: O.M. Marx, A. Moses (Hg.), Emeriti erinnern sich, Bd. 1, 1993, 57-67

 

L H. Berlet, S. Hoyer, G. Q. 65 Jahre, in: Ruperto Carola 33, H. 65/66, 1981, 199; S. Hoyer, Obituary – G. Q., in: Journal of Neural Transmission v. 111, 2004, 1509f.; Florian Schmaltz, Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus, 2005, 429f., 485, 488-490, 492-497, 506f., 518f.; D. Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1933- 1986, 2009, 477.

 

B UA Heidelberg: Pos I 002352 (ca. 1965), Pos I 002353 (1974), Pos I 006822 (2003), Pos I 04085 bis 04090 (Gruppenphotos 1979); Photo, ca. 1955 in d. Studentenakte Q. 1955-1960; Photo in PA  Q.; Das Klinikum d. Univ. Heidelberg u. seine Institute, 1986, die vorletzte Seite des Bildteils; O.M. Marx, A. Moses (Hg.), Emeriti erinnern sich, Bd. 1, 1993, 54.